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Sich wieder über die alltäglichen Dinge freuen können, dafür bin ich dankbar.

Eine orchestrale Fülle mit nur einer Harfe

"Ebenso genuss- wie lehrreich war das erste Konzert, das die Sigma-Klinik seit dem Corona-Ausbruch veranstaltete. Die Harfenistin Silke Aichhorn aus Traunstein spielte am Montag wunderbare Werke, erzählte viel Wissenswertes über ihr Instrument und stellte dabei einige Klischees richtig.

Dass vorwiegend Arrangements zu hören waren, hatte einen einfachen Grund, denn erst im Jahre 1810 wurden die Pedalharfen erfunden, die es erlaubten, in allen Tonarten zu spielen – vorher waren die Möglichkeiten der Harfe ziemlich eingeschränkt. Dennoch können Harfenisten nicht alle Klavierwerke spielen. Sie müssen sich mit acht statt zehn Fingern begnügen, und der Einsatz der sieben Pedale, mit denen die Saiten um jeweils zwei Halbtonschritte erhöht werden können, ist reichlich kompliziert.

Ein Originalwerk stammte vom türkischen Komponisten und Harfenisten Cagatay Akyol. Seine Suite hatte nichts Provokantes oder Neutönerisches, sondern bot eine schöne lyrische Melodie und genau das, was man mit der Harfe verbindet: Arpeggien (nacheinander angeschlagene Töne eines Dreiklangs) und Glissandi, also das "Gleiten" über Saiten.

Silke Aichhorn tritt am liebsten als Solistin auf, denn im Orchester spielt die Harfe oft eine untergeordnete Rolle und muss lange warten, um dann punktgenau die kurzen Einsätze zu treffen. Da verbreitete sie lieber alleine eine orchestrale Fülle in Smetanas "Moldau", die Hanus Trnecek für Harfe arrangiert hatte. Dass die lautmalerisch so treffend geschilderten Wasserläufe sich ebenso hervorragend auf der Harfe darstellen ließen wie die zarten, filigranen Klangkaskaden des Nymphentanzes, überraschte nicht. Aber auch das majestätische Moldau-Thema kam wunderbar zur Geltung, so wie die volkstümliche Heiterkeit des Bauerntanzes. Es gelang ihr, mit einigen Forte-Akkorden die Stromschnellen und die Burg anzudeuten.

Händels "Einzug der Königin von Saba" klang etwas weniger strahlend als mit Trompeten, aber durchaus zupackend und prachtvoll. Ihre Virtuosität und ungemein sensible, auf zarteste dynamische Abstufungen achtende Musikalität zeigte sie in der Fantasie über ein Haydn-Thema. In der Serenade über Schuberts "Leise flehen meine Lieder", das der belgische Starharfenist Felix Godefroid im 19. Jahrhundert bearbeitet hatte, zeigte sie eine sehr poetische Interpretation voller Zerbrechlichkeit und Schönheit: Man spürte förmlich die anfängliche zarte Melancholie, die dann in Schubert-typischer Weise in ein tröstliches Dur überging.

Nach einem ukrainischen Volkslied führte Silke Aichhorn ein Beispiel für moderne Harfenmusik auf. Der junge norwegische Komponist Uno Alexander Vesje hatte eine intensive, beschwörende Lautmalerei "Life is fleshing before my eyes" geschrieben, die in Dialog mit einer aufgezeichneten Vogelstimme trat. Da hörte man neue (aber niemals derbe) Klangfacetten, wenn die Solistin mit der flachen Hand auf die Saiten schlug und einmal einen fast wilden Klangrausch entfesselte. Wie maßgeschneidert für die Harfe war das Impromptu von Gabriel Pierné, bevor Silke Aichhorn Mozarts "Türkischen Marsch" in einer originellen, verjazzten Variante aufführte.

Eine Bearbeitung von Schumanns "Der Nussbaum" als Zugabe passte ideal zum Ort und zum Charakter dieses ungemein bereichernden Konzerts."

Quelle: Michael Gottstein Badische Zeitung 31.08.2022
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Foto: Sven-Kristian Wolf