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Mich wieder mit klarem Kopf auf die Partnerschaft konzentrieren zu können, das war das größte Geschenk.

Zwangsstörungen verstehen und behandeln

Von: Dr. Christoph Wölk, Lohne | 06.03.2017

Anlässlich einer Fortbildungsveranstaltung im Sigma-Zentrum „Im Dialog: Zwangsstörungen verstehen und behandeln“ sprachen wir mit dem Psychologischen Psychotherapeuten Dr. Christoph Wölk, Lohne.

Sie sind aus Deutschlands Norden zu uns ins Sigma-Zentrum gekommen, um mit uns einen Fachdialog über die Behandlung des psychischen Störungsbildes der Zwangsstörung zu führen. Seit vielen Jahren beschäftigen sich bereits mit dieser, von den Betroffenen häufig verheimlichten psychischen Erkrankung und gelten als Spezialist in der Behandlung dieser Störung.

Dr. Wölk: Es freut mich natürlich sehr, vom Sigma-Zentrum zu dieser Fachveranstaltung eingeladen worden zu sein. Tatsächlich beschäftige ich mich mit dem Störungsbild der Zwangsstörungen, seitdem ich 1995 Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft Zwangserkrankungen war. Im Rahmen meiner inzwischen 25-jährigen Tätigkeit als psychologischer Psychotherapeut ist mir etwas Grundlegendes bewusst geworden, nämlich wie wichtig es ist, seinen Patienten vorurteilsfrei zuzuhören. Dies ist gerade bei Patienten mit Zwangsstörungen von großer Bedeutung, da zu diesem Thema in den klassischen Lehrbüchern für Psychotherapie bzw. Psychiatrie oftmals sehr viel Missverständliches zu finden ist. Hierbei handelt es sich zum Teil sogar um sehr fatale Fehlannahmen, die leicht dazu führen, dass das Bild, das sich der Behandler von dem vor ihm sitzenden Patienten macht, aber auch das, was der Patient selbst von sich hat, recht irreführend sein kann. Speziell meine ich hierbei z. B. Ausführungen zum Thema Zwangsgedanken, die in solchen Lehrbüchern zu finden sind. Da klingt es häufig so, als trügen zwangskranke Menschen tatsächlich das Risiko in sich, dass z. B. in ihnen schlummernde, gewalttätige Impulse dazu führen könnten, andere Menschen zu attackieren und zu verletzen. Spricht man dagegen mit Betroffenen selbst, so wird deutlich, dass sie vor allem die Sorge um das Vorhandensein solcher Impulse in ihrem Innern beschäftigt und die große Angst, ihnen zum Opfer zu fallen, sie aber derartige Impulse noch nie bei sich erlebt haben. Dieser kleine aber entscheidende Unterschied wird einem als Behandler jedoch erst dann deutlich, wenn man das Erleben ihrer Zwangsgedanken mit den Patienten sehr differenziert erörtert.
Ein ähnliches großes Missverständnis gibt es auch rund um das Thema, wie man sich das Leben von zwangskranken Menschen vorstellen sollte. Liest man Textbücher, so hat es den Anschein, als handelte es sich hierbei um Menschen, die gegen ihr Wollen Handlungen ausführen, die für Sie nicht akzeptabel halten oder von Ihnen nicht gewünscht sind. Auch dieses Bild ist nicht wirklich richtig. Vielmehr ist das Gefühlsleben eines von Zwängen Betroffenen in der Form durcheinander geraten, dass sie ohne entsprechenden Anlass massiven negativen Gefühlsstress in einer eigentlich vollkommen harmlosen Situation bekommen. Die dann von ihnen ausgeführte Zwangshandlung, wie z. B. das Kontrollieren der Haustür oder von Elektrogeräten oder das Reinigen von sich selbst oder ihrer Umgebung zielt einzig darauf ab, den negativen, unerträglichen Gefühlsstress zu beenden. Fatalerweise gelingt dies mit der Zeit zunehmend schwerer, weswegen die Zwangshandlungen immer komplizierter, differenzierter und umfassender werden müssen, damit sie ihr Ziel erreichen.

Das ist ein ganz neuer Ansatz zum Verständnis des Störungsbildes und damit auch zu dessen Behandlung. Was die Behandlung von Patienten mit Zwangsstörung im Sigma-Zentrum anbetrifft betrifft, haben Sie sich bereit erklärt, an den der Realisierung von weiterentwickelten Behandlungskonzepten mitzuarbeiten.

Dr. Wölk: Während meines Aufenthaltes in ihrer Klinik habe ich den Eindruck bekommen, dass die Behandlung dieser Patientengruppe bereits sehr differenziert und engagiert stattfindet, was nicht unbedingt selbstverständlich ist, da Patienten mit Zwängen für Behandler eine echte Herausforderung darstellen. Umso mehr freut es mich, dass sie sich dazu entschlossen haben, auf meine langjährige Erfahrung zurückzugreifen, um das Angebot in der Sigma-Klinik für Zwangskranke noch effektiver zu gestalten. Als diesem Ziel besonders entgegenkommend, erlebe ich das sich bereits im Klinikalltag fest verankerte Prinzip, dass zum einen mehrere einzeltherapeutische Sitzungen pro Woche mit dem Patienten stattfinden und zum anderen sich sämtliche an der Behandlung beteiligten Personen in den täglichen Teambesprechungen über die einzelnen Patienten und ihre Behandlungsfortschritte austauschen. Dies eröffnet eine für mich faszinierende Möglichkeit, die bereits vor mehr als 100 Jahren das Kennzeichen einer für damalige Verhältnisse höchst innovativen Behandlungseinrichtung in London war, in der ein Pionier der Behandlung von Zwangsstörungen sein Behandlungskonzept realisieren konnte. Es handelt sich dabei um den englischen Psychiater Meyer, den man, als den Begründer des Konzeptes der Reaktionsverhinderung ansehen kann. Konkret bedeutete dies, dass das gesamte Behandlungsteam, bis hin zur Pflege, über das Krankheitsbild des jeweiligen Zwangskranken informiert war und den Auftrag hatte, diesen aktiv an der Ausübung seiner Zwangshandlungen zu hindern. Heute weiß man, dass die Verhinderung der Ausführung von Zwangshandlungen, bei gleichzeitiger Konfrontation mit einer Vielfalt der, die Zwänge auslösenden Situationen, ein äußerst effektives Behandlungskonzept darstellt.
Sicherlich ist es insgesamt natürlich für den Erfolg einer stationären Behandlung extrem wichtig, dass die Zeit des Klinikaufenthaltes vom Patienten möglichst intensiv genutzt wird. Auch hier ist für die Zukunft eine Zusammenarbeit zwischen mir und der Sigma Klinik geplant, die darin besteht, dass von meiner Frau und mir entwickelte PC- und Smart-Phone-gestützte therapeutische Werkzeuge dazu eingesetzt werden, nicht nur bei Patienten mit Zwängen, sondern bei allen dafür geeigneten Patienten dafür zu sorgen, dass sie sich täglich auf intensive Weise, in Ihrem ganz persönlichen Tempo mit den vielfältigen Aspekten von psychischer Erkrankung sowie Gesundheit auseinandersetzen. Hierbei ist es besonders das sprach-interaktive Element dieser therapeutischen Tools, das entscheidend dazu beiträgt, Denk- und Verhaltensweisen zu entwickeln, die passender und hilfreicher für die Betroffenen sind. Hierbei handelt es sich um ein absolut innovatives und zukunftsweisendes Behandlungselement, das dafür sorgt, dass die Patienten verstärkt Verantwortung für die Überwindung ihrer psychischen Erkrankung übernehmen und dadurch auch in Ihrem Selbstbewusstsein gestärkt aus dem Klinikaufenthalt hervorgehen können.

Als Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft Zwangserkrankungen DGZ setzen Sie sich dafür ein, dass Zwangskranke neben einer expliziten Psychotherapie auch unterstützende niedrigschwellige Angebote, um gegen ihre Zwänge aktiv zu werden, erreichen können. Es wäre nett, wenn Sie abschließend noch einige Worte zu den Aufgaben dieser Gesellschaft sagen könnten.

Dr. Wölk: Als 1996 die DGZ als gemeinnütziger Verein gegründet wurde, waren neben hochrangigen Experten in der Erforschung und Behandlung von Zwängen auch Betroffene, sowie deren Angehörige daran beteiligt. Das Wissen um Zwänge war damals sowohl in der Öffentlichkeit aber zum Teil auch in Fachkreisen noch recht spärlich. Daher war es unser erstes Anliegen u.a. durch unsere Zeitschrift „Z-aktuell“ Betroffenen, Angehörigen sowie Behandlern neuste Informationen über die Entstehung von Zwangserkrankungen und deren Therapie vermitteln zu können. Ein weiteres Tätigkeitsfeld der DGZ war es, bei diesbezüglichen Anfragen aus den Print-, sowie elektronischen Medien professionelle Gesprächspartner oder aber auch Betroffene und Angehörige vermitteln zu können. Auch wurde ein Internetangebot realisiert, das inzwischen zunehmend an Bedeutung gewinnt, da immer mehr zweifelhafte Informationen zum Thema Zwänge und deren Therapie im Internet Verbreitung finden. Es erscheint uns gerade in letzter Zeit immer wichtiger, ein seriöses und ernsthaftes Informationsangebot für Betroffene in Form der Internetseite www.zwaenge.de bereitzuhalten. Auch findet man dort ein Diskussions- bzw. Chat-Forum, wo am Thema Zwang Interessierte miteinander ins „Gespräch“ kommen können.

Des Weiteren ist die DGZ auch gerne bereit, Betroffene bei der Suche nach geeigneten Behandlungsmöglichkeiten zu unterstützen. Dies betrifft sowohl ambulante als auch stationäre Psychotherapie. Außerdem ist es ein großer Erfolg der Tätigkeit des Vereins, bundesweit zahlreiche Selbsthilfegruppen zu betreuen, um so niederschwellige Anlaufstellen für von Zwängen Betroffene sicherzustellen, denn es ist immer noch so, dass die Zwangsstörung als die heimliche Krankheit gilt. Im Unterschied zu anderen Störungsbildern, wie Ängste, Panik und Depression trauen sich Betroffene extrem selten, sich zu outen. Umso wichtiger ist es daher, dass entsprechende Anlaufstellen in Form von Selbsthilfegruppen in ihrer Umgebung für sich zur Verfügung stehen, wo ein Austausch mit ähnlich Betroffenen stattfinden kann. Erfahrungsgemäß ist dieses Sich- outen-können zumindest anderen Betroffenen gegenüber bereits ein großer und wichtiger Schritt, der dann häufig in den Beginn einer ambulanten Psychotherapie und in einer Reihe von Fällen auch zusätzlich unterstützend in einer stationären Therapie mündet. Dies macht deutlich, dass es für Zwangskranke gerade im stationären Bereich Angebote gibt, die speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind. Hierzu gehören zwangsspezifische Behandlungsgruppen, die sowohl dem Bedürfnis nach Information als auch nach Unterstützung in den verhaltenstherapeutischen Übungen in professioneller Form nachkommen. Gerade hier, finde ich, ist das in der Sigma Klinik aufgebaute Behandlungsprinzip die optimale Form, denn es verspricht ebenso wie bereits bei diversen anderen Störungsbildern, wie zum Beispiel der Depression, … auch speziell für Patienten mit Zwängen eine Anlaufstelle zu sein, die mit großer Wahrscheinlichkeit zu entscheidenden therapeutischen Fortgeschritten bei den Betroffenen führt.

Vielen Dank für das Interview. Auch im Interesse unserer Patienten mit Zwangsstörungen freuen wir uns über die begonnene Zusammenarbeit.