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Mich wieder mit klarem Kopf auf die Partnerschaft konzentrieren zu können, das war das größte Geschenk.

Neurologische Musiktherapie

Von: Nicole Gross-Meißner | 03.02.2015

Nicole Gross-Meißner ist Dipl.-Musiktherapeutin, NMT-F am Sigma-Zentrum Bad Säckingen. Als Studentin des international renommierten Professor für Musik und Professor für Neurowissenschaften an der Colorado State University/USA Michael H. Thaut, Ph.D. ist es ihr gelungen, ihn für eine Fortbildung in Bad Säckingen zu gewinnen, in der er die wissenschaftlichen Grundlagen und die klinische Methodik der Neurologischen Musiktherapie für das ärztliche bzw. therapeutische Personal sowie interessierte Gäste der Region vorstellte.

Die neurologische Musiktherapie ist definiert als der therapeutische Einsatz von Musik bei Patienten mit kognitiven, sensorischen und motorischen Dysfunktionen, die auf eine neurologische Erkrankung des menschlichen Nervensystems zurückzuführen sind. Sie basiert auf einem neurowissenschaftlichen Modell der Musikperzeption und –produktion und des Einflusses von Musik auf funktionale Veränderungen nicht-musikalischer Gehirn- und Verhaltensfunktionen. Behandlungstechniken der NMT basieren auf wissenschaftlicher Forschung und sind auf funktionale therapeutische Ziele ausgerichtet. Die Behandlungstechniken sind standardisiert, weltweit anwendbar und können in der Therapie den jeweiligen Bedürfnissen des Patienten angepasst werden.

Die Therapie folgt dem sogenannten Transformational Design Model (TDM) in folgenden Schritten:

  1. Diagnostische und funktionale Anamnese
  2. Bestimmen therapeutischer Nah- und Fernziele
  3. Entwickeln funktionaler, nicht-musikalischer therapeutischer Übungen und Stimuli
  4. Übertragen von Schritt 3 in funktionale, therapeutische Musikanwendungen
  5. Transfer des Lernprozesses in ADL / Alltagsfunktionen

NMT ist eine forschungsbasierte Behandlungsmethodik, die sich die Parameter der Musik zu Nutze macht. Alle Behandlungstechniken basieren auf dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand über Musikwahrnehmung und -produktion und deren Auswirkung auf nichtmusikalische Gehirn- und Verhaltensfunktionen. In klinischen Studien konnten die Techniken überprüft und validiert werden. Insgesamt verfügt die Neurologische Musiktherapie über 20 Techniken in den Bereichen Motorik, Sprechen und Sprache und im Bereich der Kognition.

Genutzte Parameter der Musik sind Tempo, Rhythmus, Melodie, Tonhöhe, Harmonie, Tondauer, Klangfarbe und Lautstärke. Je nach Einsatz und Technik komponiert der Neurologische Musiktherapeut seine Intervention und baut diese Parameter zu einer Übung zusammen, so dass das jeweilige Ziel bestmöglichst erreicht werden kann. Musikalische Präferenzen wie auch landesspezifische Musikgewohnheiten können dabei berücksichtigt werden, da dem Therapeuten noch viel kreativer Spielraum  zur Verfügung steht.

Gruppe Kognitives Training

In der Sigma-Klinik gibt es seit 2014 die Therapiegruppe „Neurologische Musiktherapie – Kognitives Training“, die, von Psychologen stark nachgefragt, inzwischen zweimal wöchentlich für 50 Minuten stattfindet. Sie wird geleitet von zwei Diplom Musiktherapeutinnen, die in Neurologischer Musiktherapie ausgebildet sind und bereits zweimal rezertifiziert wurden.

Der Bereich der Psychiatrie und Psychosomatik stellt neben der Neurologie und Neurorehabilitation einen Bereich dar, in dem die NMT zur Anwendung kommt. Die Rehabilitation kognitiver Funktionen kann durch musiktherapeutische Techniken nachhaltig verbessert werden. Kognitive Leistungen lassen sich gut in musikalischen Strukturen abbilden. Dies ermöglicht die Entwicklung von spezifischen musikalischen Übungen für Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Denkfähigkeit. Defizite in der Aufmerksamkeit können zur Minderung der allgemeinen Reaktionsfähigkeit führen, zu Verlangsamung, fehlerhafter Arbeitsweise, zu Ablenkbarkeit und verminderter Daueraufmerksamkeit. Im Rahmen des Musikalischen Aufmerksamkeitstrainings – Musical Attention Control Training (MACT) wurden spezifische Musikinterventionen für die Förderung der verschiedenen Aufmerksamkeitskomponenten entwickelt und somit gezielt etwa anhaltende, selektive, alternierende oder geteilte Aufmerksamkeit geübt.

Ein weiterer Schwerpunkt ist das Gedächtnis, welches als komplexes System viele verschiedene Teilkomponenten umfasst. Im Musikalischen Mnemoniktraining (MMT) dienen musikalische Reize (Lieder, leicht zu erinnernde Melodien) als Erinnerungsschablonen, in die nicht-musikalische Gedächtnisinformationen (z. B. Einkaufslisten, Informationen zur Orientierung) eingebunden werden. Durch die Erinnerung an die musikalische Struktur wird der Abruf der nicht-musikalischen Gedächtnisinformationen erleichtert.

Zusätzlich können exekutive Funktionen geübt werden. Sie umfassen die Planung, Ausführung, Kontrolle und Bewertung von Handlungen auf praktischer, sprachlicher und gedanklicher Ebene. Die Komposition einer musikalischen Improvisation in der Gruppe deckt all diese Leistungen ab, die so spielerisch und mit hörbarem Ergebnis trainiert werden können.

Fortbildung

In einem Vortrag zum Thema „Klinische Methodik und Forschungsgrundlagen der Neurologischen Musiktherapie mit dem Schwerpunkt auf Methoden der kognitiven Rehabilitation“ hat Prof. Dr. Michael H. Thaut am 04.12.2014 Grundlagen, Forschung und Therapiemöglichkeiten im Sigma-Zentrum vorgestellt:

Prof. Dr. Michael H. Thaut ist Professor für Musik und für Neurowissenschaften an der Colorado State University, Fort Collins, USA. Über 9 Jahre leitete er dort an der School of Arts die Fakultät Music, Theatre and Dance und war 2 Jahre lang im Vorstand der SRH-Holding Heidelbergzuständig für ihre  6 Hochschulen. Autoren-, Lehr- sowie Vortragstätigkeit auf der ganzen Welt zeichnen ihn aus. Als Direktor des CBRM Center for Biomedical Research in Music bildet er Musiktherapeuten und Therapeuten anderer Professionen weltweit in Neurologischer Musiktherapie aus und sorgt durch regelmäßige sog. Fellowshiptrainings alle 5 Jahre für eine Qualitätskontrolle  und ein Update des aktuellen Forschungsstandes in Musik und Neurowissenschaften und bietet dabei Supervision der angewandten Methodik .

Michael H. Thaut, Ph.D. ist Professor für Musik und Professor für Neurowissenschaften an der Colorado State University/USA, sowie Dekan der Kunstfakultät. Seit 12 Jahren leitet er das Center for Biomedical Research in Music. Seine international anerkannte Forschung befasst sich mit Hirnfunktion und Musik – im Besonderen mit der zeitlichen Informationsverarbeitung in Beziehung zu Rhythmizität und biomedizinischer Anwendung von Musik in der neurologischen Rehabilitation. Er wurde mit dem National Research Award (1993) und mit dem National Service Award (2001) der American Music Therapy Association ausgezeichnet. Er verfasste über 130 wissenschaftliche Publikationen und war Autor bzw. Co-Autor von 4 Büchern . Er ist Mitglied des Organisationskommitees der World Federation of Neurologic Rehabilitation und Vizepräsident der International Society for Music and Medicine. 2007 wurde er zum Präsidenten der International Society for Clinical Neuromusicology gewählt. Als ehemaliger Profi -Violinist hat er mehrere LPs/CDs in den Bereichen Klassik und Folk aufgenommen und ist Autor einer wegweisenden Anthologie über europäische und nordamerikanische Folk Fiddelmusik.

Quellen:

  • Handbook of Neurologic Musictherapy, Michael H. Thaut, 2014, Oxford University Press
  • Handbuch zum Fortbildungsseminar Neurologische Musiktherapie, 2012
  • Prof. Dr. M. H. Thaut, Center for Biomedical Research in Music
  • Rhythm, Music and the Brain: Scientific Foundations and Clinical Applications (Studies on New Music Research), Michael H. Thaut, 2007, Routledge Chapman & Hall
  • Stefan Mainka, http://mit-musik-geht-reha-besser.de/