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Mich wieder mit klarem Kopf auf die Partnerschaft konzentrieren zu können, das war das größte Geschenk.

Fragen und Erkenntnisse aus der Psychoimmunologieforschung

Von: Dr. Hermann Federschmidt | 09.12.2013

Erhält die Theorie von Engel und Schmale (1969) durch die heutige Psychoimmunologieforschung eine neue Grundlage?

Erstveröffentlicht in der Zeitschrift Psychodynamische Psychotherapie 2009; 8: S. 99-106, Schattauer Verlag.

Schlüsselwörter: Konversion, Psychosomatosen, Psychosomatische Erkrankungen, Psychoimmunologie, Neuropeptide, Substanz P
Key words: Conversion, Psychosomatic disorders, Psychoimmunology, Neuropeptides, Substance P

Zusammenfassung / Summary:

Nach Engel und Schmale kann jedes Organsystem, unabhängig davon, ob eine willkürliche oder autonome Innervation vorliegt, zum Ausdruck unbewusst-seelischer Inhalte verwandt werden. Entscheidend ist vielmehr, inwieweit das Organsystem oder die Körperpartie lebensgeschichtlich unter dem Objekt-Beziehungsaspekt bedeutsam war und hierdurch für die Übernahme einer seelischen Repräsentanz geeignet ist. Als Komplikation kann sich - bei Vorliegen somatischer Faktoren - am Ort der Konversion eine Organläsion ausbilden. So ist für psychische Parameter die Krankheitslokalisation von größerer Bedeutung als die Krankheitsentität. In dieser Arbeit wird der Frage nachgegangen, inwieweit die heutige Psychoimmunologieforschung insbesondere durch die Entdeckung der Bedeutung der Substanz P diese Theorie unterstützen kann.

According to Engel und Schmale every organ system, regardless of an arbitrary or autonomous innervation, can be used to represent unconscious emotional contents. The decisive factor is rather the extent to which the organ system or bodypart was important in the personal history for the adoption of a mental representation according to the object-relationship-aspect. As a complication may be – in the presence of a physical factor - a somatic disease may occur at the localisation of conversion. Thus, for psychic parameters the localisation of the disease could be of greater importance than the illness entity. This article deals with the question, to which extent today´s psycho-immunological research can support this theory, particularly after the discovery of the importance of substance P.

Vorwort:

Der Beitrag ist das ausgearbeitete Manuskript eines Vortrages, der am 15.11.1996 auf der 45. Arbeitstagung des DKPM in Düsseldorf sowie am 7.2.1997 auf der 5. Jahrestagung des Arbeitskreises Psychosomatische Dermatologie (APD) in Gießen gehalten wurde; er entstand aus der Abt. für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin der Universität Freiburg i.Br. Da ich mich kurz danach mich niederließ, kam es neben dem Abstract nicht mehr zu einer Veröffentlichung. Auf der DKPM-Tagung 2008 wurde mir bewusst, wie aktuell - trotz der verstrichenen 10 Jahre – diese Arbeit weiterhin ist, weshalb ich sehr froh bin, dass sie nun, ergänzt mit neueren Literaturhinweisen, in seiner ganzen Länge den Weg in die gedruckte Form fand.

Einleitung:

Engel und Schmale (1969) begrenzen im Gegensatz zu Alexander (1950) die Konversion nicht auf Willkürmotorik und Sinneswahrnehmungssysteme. Nach ihrer Meinung könne jedes Organsystem zum Ausdruck unbewusst‑seelischer Inhalte verwandt werden. Bedeutsam ist hierfür nicht, ob eine willkürliche oder autonome Innervation vorliegt, sondern inwieweit das Organsystem oder die Körperpartie für die Übernahme einer seelischen Repräsentanz geeignet ist. Nach Engel und Schmale (1969) werden die Organsysteme bzw. ‑funktionen verwandt, die lebensgeschichtlich unter dem Objekt‑Beziehungsaspekt bedeutsam waren. Hier sind im Besonderen die Haut, der Darm und die Motorik zu nennen, die eine wichtige Rolle bei der Erziehung und Pflege des Kindes spielen. Am Ort der Konversion könne als "Komplikation" eine Organläsion eintreten, vorausgesetzt es komme zu Wechselwirkungen mit somatischen prädisponierenden Faktoren wie z. B. "Immunität, Allergie oder Hämostase" (S.249). Da die Ortswahl durch den Konversionsvorgang, die Art der Organschädigung jedoch durch die Wechselwirkung mit somatischen Faktoren determiniert werde, glauben die Autoren, dass bei den Psychosomatosen (den mit Organläsion einhergehenden psychosomatischen Erkrankungen i.e.S.) bezüglich psychischer Parameter die Krankheitslokalisation von größerer Bedeutung sei als die Krankheitsentität. Die Krankheitsentität hingegen wäre durch ein spezifisches “somatisches Entgegenkommen” bedingt, das genetisch vorgegeben ist.

Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Konversionsbegriff bei Engel und Schmale auch präödipale Entwicklungsstörungen mit einschließt und daher weiter gefasst ist als heutzutage üblich. Eine "präödipale Konversion" wird gegenüber den motorischen Störungen auf “ödipalem Niveau” (z. B. psychogene Lähmung, Sehstörung etc.) sicherlich mit einer deutlich geringeren Differenziertheit des zugrunde liegenden psychischen Erlebens und somit des körperlichen Ausdrucks einhergehen, da die Symbolisierungsfähigkeit, die mit dem Spracherwerb Hand in Hand geht, noch nicht oder nur teilweise vorhanden ist. Anders ausgedrückt: Das psychische Erleben auf präödipaler Stufe wird archaischer und mit globaleren körperlichen Ausdrucksformen verknüpft sein.

In dieser Arbeit soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit die heutigen Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der  Psychoimmunologie mit der Theorie von Engel und Schmale vereinbar sind. Ist anhand dieser Ergebnisse ein Übergang von einem Konversionsvorgang hin zu einer somatischen Erkrankung denkbar?

Forschungsstand auf dem Gebiet der Psychoimmunologie:

Die Erkenntnis der letzten Jahre von der engen Vernetzung zwischen Nerven‑, Immun‑ und Hormonsystem führte zu dem neuen als “Psychoneuroimmunologie” bezeichneten Forschungsgebiet (Ader et al 1991); genau genommen müsste dieses Gebiet  “Psychoneuroendokrinoimmunologie” benannt werden. Die Regulationsvorgänge sowohl des Immunsystems als auch die des Hormon‑ und Nervensystems können in ihrer Funktionsweise nicht mehr für sich isoliert verstanden werden, sondern nur eingebettet in einem übergeordneten Regelsystem. Nervensystem, Immunsystem sowie Hormonsystem beeinflussen sich wechselseitig (s. Schulz 1995, Ziemssen und Kern 2007). So tragen Immunzellen sowohl Rezeptoren für Neuropeptide (Botenstoffe des Nervensystems) als auch für Hormone (Madden & Felten 1995) und umgekehrt tragen Nervenzellen Rezeptoren für Botenstoffe des Immunsystems, wobei den Zytokinen eine besondere Rolle zukommt (Hopkins und Rothwell 1995, Rothwell und Hopkins 1995). Alle immunologischen Organe werden durch Fasern des Nervensystems versorgt (Bulloch 1985, Felten et al 1987) und andererseits haben Botenstoffe des Immunsystems ebenso wie Hormone Einfluss auf das ZNS (Weihe et. al 1996) und somit auf das psychische Befinden.

Da für die Theorie von Engel und Schmale die Wechselbeziehung zwischen Nervensystem und Immunsystem von besonderer Bedeutung ist, soll in dieser Arbeit diesbezüglich der heutige Wissensstand kurz dargestellt werden: Als anatomische Grundlage des neuroimmunen Dialogs finden wir in der Peripherie des Körpers, besonders im Bereich der postkapillären Venolen, auf engstem Raum Nervenendigungen und Zellen des Immunsystems, wobei Bindegewebszellen (z. B. Fibroblasten) als „Supporterzellen“ in dieser Interaktion dienen können (Weihe et al 1996). Wie schon eingangs erwähnt, greifen Zytokine (Botenstoffe des Immunsystems) an Zytokin‑Rezeptoren der Nervenzellen an und umgekehrt tragen Immunzellen Rezeptoren für Neuropeptide (neuronale Botenstoffe). Die enge Vernetzung von Immun- und Nervensystem wird darüber hinaus auch dadurch deutlich, dass vermutlich Nervenzellen sogar Botenstoffe des Immunsystems (Zytokine) und umgekehrt Immunzellen Botenstoffe des Nervensystems (Neuropeptide) bilden können (Weihe et al 1994).

Eine zentrale Rolle im neuroimmunologischen Dialog kommt der Verbindung zwischen Nervenzellen und Mastzellen zu. Nervenzellen und Mastzellen scheinen sich gegenseitig anzuziehen. So konnte in vitro - d.h. in Zellkulturen - gezeigt werden, dass zwischen Neuriten und Mastzellen sich dauerhafte Verbindungen ausbilden (Blennerhassett et al 1987).  Elektronenmikroskopisch zeigten sich in den Nervenzellen, dort wo die Kontakte entstanden, Ansammlungen von Neurotransmittern. War der Kontakt entstanden, differenzierten diese sich aus. Mastzellen sind wesentlich für Hypersensitivität und allergische Reaktionen - aber auch für Entzündungsprozesse im Allgemeinen - verantwortlich; am bekanntesten ist die Antigen‑Antikörperreaktion vom IgE‑Typ bei allergischen Reaktionen, wodurch Mediatoren wie Histamin freigesetzt werden.

Bei der Kommunikation zwischen Nervensystem und Immunsystem kann unterschieden werden zwischen “lokaler Kommunikation”, worunter die lokal in der Peripherie stattfindende gegenseitige Beeinflussung von Neuronenenden und Immunzellen verstanden wird (direkt oder indirekt über Supporterzellen wie Fibroblasten) und dem ”Ferngespräch” zwischen ZNS und Peripherie (Weihe et al 1996): Das ZNS kann einerseits über die Hypothalmus-Hypophysen-Nebennierenachse global auf die Immunzellen mit ihren Hormonrezeptoren Einfluss nehmen, andererseits kann es auch via Sympathikus/Parasympathikus gezielt eine bestimmte Region der Peripherie erreichen und die Immunzellen dort aufgrund ihrer Noradreanlin- bzw. Acetylcholin-Rezeptoren aktivieren.

Darüber hinaus zeigte sich in jüngster Zeit eine dritter Kommunikationsweg: Sensorische Neurone leiten aus der Peripherie neben sensorischen Reizen auch Immunsignale zum Gehirn (Dantzer 1994) und – das ist das Besondere – dienen ferner gegenläufig als Kommunikationsschiene vom ZNS zu den Immunzellen in der Peripherie (Weihe und Nohr 1992). Somit sind die primären sensorischen Neurone funktionell dual (Weihe et al 1996). Bei ihnen werden in den Ganglien Neuropeptide wie vor allem die Substanz-P synthetisiert und diese wandert über das dorsale Horn des Rückenmarks in die Nervenendigungen der Peripherie. Die Bedeutung der Substanz P auf das Immunsystem konnte vielfach nachgewiesen werden. Bei der Haut z. B. kommt es nach Injektion von Substanz P am Injektionsort zu einer Mastzellenansammlung (Foreman et al 1983).

Das durch Neuropeptide aktivierte Immunsystem wirkt seinerseits wiederum aktivierend zurück auf die Neurone, wodurch es in Form eines Teufelskreises zu einem pathologischen sich gegenseitig aufschaukelnden Wechselspiel kommen kann (s. Weihe et al 1991). Da dieser Prozess durch das ZNS moduliert wird, wäre der Einfluss der Psyche auf allergische Reaktionen erklärbar (Weihe et al 1996, S. 229). Langfristige Veränderungen des neuroimmunen Gleichgewichts scheinen dadurch bedingt, dass Signale der Immunzellen die Genexpression und somit den Stoffwechsel der Neurone verändern können.

Die zentrale Bedeutung der Neuro‑Mastzell‑Kontakte für die Entstehung von Erkrankungen mit Organdestruktion liegt darin, dass die Freisetzung von Mediatoren aus den aktivierten Mastzellen eine Vielzahl physiologischer Veränderungen im Gewebe hervorrufen, weswegen vorgeschlagen wurde (Perdue et al 1991), dieses neue Forschungsgebiet "Psychoneuroimmunophysiologie" zu nennen. Beim Darm zum Beispiel wird durch Mastzellaktivierung der Transport von Flüssigkeit und Ionen durch die Darmwand behindert (Perdue et al 1991) und diese Interaktion wird als ein Faktor bei der Krankheitsauslösung sowie Chronifizierung von M.Crohn und Colitis ulcerosa angesehen. Neben dem Nachweis, dass die Aktivierung der Mastzellen durch das Neuropeptid Substanz P geschieht, konnte experimentell auch gezeigt werden, dass diese Substanz P vom ZNS her kommen muss. Stead und Mitarbeiter (1987) fanden, dass in der Darmmucosa 2/3 aller Mastzellen an Nervenfasern, die entweder Substanz P und/oder CGRP enthielten, angelagert waren (vgl. Federschmidt und Huse-Kleinstoll 2001). Auch wurde kürzlich berichtet, dass durch Hypnose die Freisetzung von Substanz P in der Mucosa von Colitis ulcerosa Patienten hochsignifikant reduziert werden konnte (Mawdsley  et al 2008).

In der Dermatologie ist die Bedeutung der Substanz P als wichtiges Verbindungsglied zwischen psychischem Stress und Ausbruch von Hauterkrankungen wie Neurodermitis, Psoriasis oder Haarausfall mittlerweile klar dargestellt (Peters et al 2006a, Peters et al 2006b, Pavlovic et al 2008)

Weitere klinische und experimentelle Hinweise für einen nerval vermittelten Einfluss des ZNS bei der  Entstehung von somatischen Erkrankungen:

  1. Die rheumatoide Arthritis verschwindet in solchen Gelenken, die durch Nervenverletzung oder Schlaganfall ihre funktionelle Innervation verloren haben (Weihe et al 1996).
  2.  Farber und Mitarbeiter (1991) fand in den von Psoriasis befallenen Hautarealen eine erhöhte Freisetzung des Neuropeptids “Substanz P” aus den sensiblen Nervenenden. Die Autoren gehen davon aus, dass bei psychischem Stress dieses Neuropeptid über absteigende autonome Nervenfasern in die Haut gelangt. Analog zur Arthritis wird bei Psoriasis beschrieben, dass es nach Nervendurchtrennung zu einer Abheilung in dem vom Nerv versorgten Hautareal kommt (Dewing 1971, Farber et al 1991).
  3. Experimentell konnte der nerval vermittelte Einfluss auf Mastzellen belegt werden. Es seien einige Beispiele genannt:
    a) Die Stimulierung des N.vagus bei Hunden führte in der Lunge zu einer erhöhten Histaminfreisetzung der Mastzellen (Leff et al 1986).
    b) Die Stimulation des Riechnerven beim Menschen bewirkt eine Degranulation der Mastzellen und hiermit eine Vasodilatation mit erhöhter Nasensekretion (Masini et al 1986).

 

Die Bedeutung der Psychoimmunologieforschung für die Theorie von Engel und Schmale:

Durch die Möglichkeit des ZNS, über nervale Vermittlung pathologische Immunprozesse anzustoßen bzw. zu unterhalten, bekommt die Theorie von Engel und Schmale eine anatomisch‑physiologische Grundlage. Es ist hierdurch denkbar, dass ein symbolisch (oder mit Erinnerungsspuren) besetztes Körperorgan bzw. besetzter Körperteil aufgrund eines neuroimmunologisch wechselseitigen Verstärkungsprozesses zu physiologischen Veränderungen und hiermit zur Organdestruktion führt. Das somatische Entgegenkommen wäre hierbei in einer  überschießenden immunologischen Reaktionsbereitschaft zu sehen und ein psychischer Einfluss wäre durch Neuropeptidausschüttung via Nervenfasern möglich. Durch diesen nerval vermittelten Einfluss könnte die Lokalisation von Erkrankungen einen  psychischen Bedeutungsinhalt besitzen.

Beispiele aus der Literatur, die auf eine symbolische Bedeutung der Krankheitslokalisation hinweisen:

  • In einer Fallbeschreibung von Katugampola (1990) erlitt ein 9-jähriges Mädchen einen Schock, nachdem ein Feuerwerkskörper in unmittelbarer Nähe ihres Beines explodierte. Drei Wochen später entstand die erste psoriatische Hautveränderung unmittelbar an der fast verletzten Körperstelle. Die Autoren gehen davon aus, dass nicht die physikalische Reizung Grund des psoriatischen Ausbruchs gewesen sein kann.
  • Hansen und Mitarbeiter (1981) untersuchten 20 Patienten mit dyshidrotischem Handekzem. Im Freiburger Persönlichkeitsinventar (FPI) waren diese Patienten ausgesprochen nicht‑aggressiv, beherrscht und nachgiebig. Im Interview gewannen die Autoren den Eindruck, dass es sich bei der Dyshidrose häufig um ein Ausdrucksgeschehen handelt. Sie schreiben: "Die Patienten scheinen in symbolisierter Form mit den Händen ihren Abhängigkeitskonflikt vorzuzeigen, der zu einem Zeitpunkt deutlich wird, an dem sie das Leben in ihre eigenen Hände nehmen möchten, das selbständige Handeln jedoch durch ihre Abhängigkeitswünsche behindert wird".

Eigene Beobachtungen:

Bei den von mir im Rahmen des psychosomatischen Konsildienstes gesehenen Hautpatienten mit ausschließlichem Handbefall hatte ich - und zwar unabhängig ob es sich um eine Neurodermitis oder eine Psoriasis handelte - einen ähnlichen Eindruck wie Hansen und Mitarbeiter bei Patienten mit dyshidrotischem Handekzem; häufig zeigte sich ein Ambivalenz‑Konflikt bezüglich einer Tätigkeit oder Aufgabe, wofür exemplarisch drei Fallbeispiele genannt seien, wobei das erstere ausführlicher dargestellt wird:

Beispiel 1:  40-jährige Neurodermitis-Patientin mit ausschließlichem Handbefall. Vater war Alkoholiker, sie selber musste auf Druck des Vaters ihre Lehre abbrechen, um Geld zu verdienen. Aufgrund des Alkoholismus des Vaters hatte die Mutter kaum Geld, die Familie  zu ernähren. Daher gab die Patientin und ihre ältere Schwester über Jahre hin ihr gesamtes Geld der Mutter; der Bruder hingegen durfte drei Berufe erlernen. Mit 19 J. Heirat; der Ehemann sei  ebenfalls so gutmütig wie die Patientin. So hätten beide das Haus seiner Eltern, bei denen sie anfänglich wohnten, vollständig renoviert und anschließend auf einem Grundstück gegenüber selbst gebaut. Der Bruder des Ehemannes und dessen Frau hingegen hätten bei der Renovierung des Elternhauses nie mit angefasst. Nach ihrem Umzug in das eigene Haus seien diese jedoch bei den Schwiegereltern  eingezogen, in das  "gemachte Nest". Obwohl jetzt der Bruder des Mannes bei den Schwiegereltern wohnt, halfen  weiterhin die Patientin und ihr Mann in der Landwirtschaft der Schwiegereltern mit. "Wir haben für alles hergehalten, uns ausnützen lassen. Ich war gewöhnt zu gehorchen, die Frau des Schwagers jedoch konnte sich durchsetzen. Das hat mich sehr belastet". Zu dieser Zeit Geburt des 2. Kindes, die sehr komplikationsreich verlief; sie habe “tagelang geheult und zum Schluss das Kind nicht mehr gewollt". Nach der Geburt Ausbruch der Neurodermitis.  Mit Hilfe der Neurodermitis habe sie sich “befreien können”. Jetzt konnte sie ihren Schwiegereltern sagen: "Ich kann nicht mehr, seht doch meine Hände an". Daraufhin haben sie aufgehört in deren Landwirtschaft mitzuhelfen.

Wie in diesem Fallbeispiel deutlich wird, stand die Patientin in der für sie unlösbaren Ambivalenz, einerseits eine gute Schwiegertochter sein zu wollen und andererseits ihre Mithilfe in der Landwirtschaft als ungerecht zu erleben. Diese Situation eskalierte, als sie durch die Geburt des 2. Kindes an ihre eigenen physischen Grenzen stieß und das gewünschte eigene Kind als Überforderung erlebte. In dieser Situation kam es zum Ausbruch des Handekzems, wodurch es ihr gelang, ihre Verantwortlichkeit auf die eigene Familie zu begrenzen.

Beispiel 2: 56-jährige Psoriasis-Patientin mit ausschließlichem Handbefall. Der Ehemann, der sich immer passiv habe gehenlassen und die Ehefrau herumkommandiert habe, wurde mit 50 Jahren wegen Adipositas permagna frühberentet.  Mittlerweile war er bettlägerig und die Ehefrau hatte ihn zu pflegen.

Beispiel 3: 52-jährige Patientin mit Handekzem, die ihre Schwiegermutter pflegte. Die Schwiegermutter war gegen die Eheschließung der Patientin mit ihrem Sohn und habe stets versucht, einen Keil zwischen sie und ihren Ehemann zu treiben.

Die Bedeutung der Lokalisation des Darmbefalls bei Morbus Crohn:

In einer eigenen Untersuchung (Federschmidt 1993, Federschmidt und Huse-Kleinstoll 1995) fanden wir bezüglich psychischer Parameter hochsignifikante Unterschiede in Abhängigkeit vom Darmbefall. In dem Selbstbeurteilungsinstrument  SCL90-R gaben Patienten mit Dünndarmbefall gegenüber jenen mit Dickdarmbefall hochsignifikant geringere Werte an; diese waren sogar teils niedriger als bei der gesunden Vergleichsgruppe. Ferner schildern sie sich als hochsignifikant lebenszufriedener, weniger erregbar, weniger aggressiv, weniger emotional labil (FPI-R) und weniger ängstlich (STAI-X2). In der Fremdbeurteilung wurden sie als "betont sachlicher" und stärker "auf Abgrenzung bedacht" erlebt und im FPI-R zeigte sich eine geringere Offenheit. Aufgrund dieser und weiterer Befunde (Federschmidt 1993) schlossen wir daraus, dass die niedrigen SCL90-R‑Werte bei den Patienten mit Dünndarmbefall Ausdruck einer verleugnenden und/oder dissimulierenden Haltung sind, die in Übereinstimmung mit der in der früheren Literatur beschriebenen „Pseudounabhängigkeit“ von Crohn-Patienten steht. Die Patienten mit Dickdarmbefall hingegen scheinen eher der Persönlichkeitsstruktur Colitis ulcerosa‑Kranker zu entsprechen, die eher als selbstgefällig-abhängig, depressiv und symbiotisch fordernd beschrieben werden.

Es ist hier sicherlich zu bedenken, dass diese Differenzen durch andere Krankheitssymptome bei der unterschiedlichen Lokalisation bedingt sein können (ein Dickdarmbefall mit Blut im Stuhl ist offensichtlicher, kann weniger verleugnet bzw. von der Umwelt als psychisch abgetan werden). Aber aufgrund der heutigen psychoimmunologischen Forschungsergebnisse und dem Krankheitsmodell von Engel und Schmale wäre auch die Frage möglich, ob die unterschiedliche Lokalisation mit unterschiedlichen  Erinnerungsspuren zusammenhängen könnte. Hierfür müssten jedoch viszerale Erinnerungsspuren der Dickdarmaktivität mit anderen körperlich-psychischen Grunderfahrungen des Säuglings/Kleinkindes verknüpft sein als bei der Dünndarmaktivität. Die Funktion der Dünndarmaktivität liegt in der Nahrungsaufnahme, sie ist schon beim ersten Stillvorgang aktiv. Die Dickdarmaktivität jedoch liegt in der  Eindickung des Kotes, die sich erst nach einer gewissen Zeit ausdifferenziert und mit der Reinlichkeitserziehung (Stuhlentleerung) verknüpft und deutlich bewusstseinsnäher ist. Zur Zeit der Reinlichkeitserziehung (eine intensive Interaktionserfahrung mit einem Beziehungsobjekt) gibt es im Kind ein klares Objektbewusstsein und das emotionale Erleben ist schon sehr  differenziert. Dies könnte in Einklang mit der in der Literatur beschriebenen objektbezogeneren Verhaltensweise der Colitis ulcerosa-Patienten gebracht werden. Wohingegen bei Irritationen, die mit der Nahrungsaufnahme des Säuglings in Zusammenhang stehen (Dünndarm), das emotionale Erleben weniger differenziert und das Objekterleben noch rudimentär ist, was wiederum, wenn man die beschriebene „Pseudounabhängigkeit“ als Ausdruck primärer Alexithymiemerkmale versteht, einen Sinn ergeben würde.

Hier muss erneut darauf hingewiesen werden, dass bei diesen präödipalen Entwicklungsstufen nicht das klassische Konversionsmodell anwendbar ist,  bei dem im Symptom ein psychischer Konflikt i.e.S. symbolisiert wird; es wird sich - lerntheoretisch gesprochen - um Bedeutungskopplungen zwischen Körperfunktion und frühestem somato-psychischen Erleben handeln. So wird es sich mehr um Affektäquivalente handeln und den von Kutter (1980) beschriebenen archaischen “Körper-Emotio-Phantasien” entsprechen und am untersten Ende der Symbolisierungsfähigkeit, quasi am Nullpunkt, könnten die von Bion (1962) als Beta-Elemente beschriebenen rohen „unassimilierten Sinneseindrücke“ stehen.

Ausblick:

Die beiden Hauptsensoren des menschlichen Organismus, mit denen die Umwelt wahrgenommen wird, sind das Nervensystem (Sinneswahrnehmung etc.) und das Immunsystem (Antikörperwahrnehmung). Diese beiden Sensorensysteme sind - wie dargestellt - miteinander direkt vernetzt und bilden eine funktionelle Einheit. Legt man das bio‑psycho‑soziale Modell zugrunde, sind es zwei Ebenen, mit der der Organismus mit der Außenwelt in Beziehung tritt, wobei das psychische Erleben unmittelbar mit dem Nervensystem verflochten ist. In der Verknüpfung zwischen neuroimmunologischen und psychologischen/psychoanalytischen Erkenntnissen liegen Möglichkeiten für neue übergreifende Konzepte und Theorien (Aufhebung der strikten Trennung zwischen dem alten Konzept der Konversion, der Psychosomatose sowie auch der funktionellen Störung (s. auch Federschmidt und Scheidt 1996, Federschmidt 1998)).

Die symbolische Bedeutung von Erkrankungen wurde sicherlich in den frühen Jahren der Psychosomatik (Groddeck 1923) einseitig überbetont, scheint aber heute ebenfalls einseitig ausgeklammert zu werden. Vor übereilten Verallgemeinerungen ist zu warnen, da im Rahmen des bio-psycho-sozialen Modells somatische sowie psycho-soziale prädisponierende Faktoren beim Einzelnen unterschiedlich gewichtet sein können. Aufgrund der Komplexität des menschlichen Wesens werden wir dem Einzelnen nur durch eine individuumsbezogene Betrachtung gerecht. Es scheint aber dringend erforderlich, dem Ausdrucksgehalt von Erkrankungen wieder mehr Forschungsinteresse entgegenzubringen.

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