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Den Fokus für das Wesentliche zurückgewinnen

Fokussierte Psychotherapie

Von: Prof. Dr. Erich W. Burrer | 20.01.2015

Fokussierte Psychotherapie

Eine psychodynamische Behandlung hat wie jede Therapie Ziele. Diese bestehen auch im Fall der fokussierten Psychotherapie [FP] darin, dass man die Beziehung zu den verinnerlichten Objektrepräsentanzen eines Menschen verändert. Dabei bezieht man  sich auf die pathologischen Auffälligkeiten.

Verinnerlichte Beziehungsstrukturen werden genauso wie abgespaltene Strukturen in einen Prozess überführt, der Flexibilität ermöglicht. In der Therapie wird dies durch Arbeit an der Übertragung und am therapeutischen Widerstand möglich. Dabei hilft Deutung, mit der verdrängte oder abgespaltene Anteile integriert werden, die emotional mehr oder weniger tief verankert sind.

Eine fokussierte Psychotherapie [FP] berücksichtigt somit die Kriterien der Übertragung wie jede tiefenpsychologisch fundierte Therapie [TP]. Sie fügt im Gegensatz zu jener aber auch kognitive Inhalte, wenn diese in der Therapie erarbeitet werden können.

Fokussierte Inhalte reichen für eine Gesundung oder / und Änderung der psychischen Struktur alleine natürlich nicht aus. Warum das so ist, wurde bereits von Sigmund Freud in seinen Triebtheorien (1915) dargelegt, ebenso in der Affektforschung (Krause R. 2002, 1998).

Sowohl die Triebtheorien von Sigmund Freud als auch die Affektforschung belegen, dass und wie Sprache und Erkennen mit Triebsublimierung bzw. Affekten in Beziehung treten. Ohne Aktivierung affektiver Prozesse und Beziehung werden kognitive Inhalte  nicht strukturiert verinnerlicht.

Dies belegen inzwischen auch die Hirnforschung [Spitzer, M. 2002 / Damásio , António R. 2014]. Einfache Beispiele aus unserem Alltag zeigen dies. So lernen z. B. Kinder, die den Lehrer nicht mögen, schlechter. Auch bei Affektüberflutung (Strenge und konsekutive Angst) kommt es zu erheblichen Störungen der kognitiven Aufnahmefähigkeit eines Kindes. Sogar das innere Gleichgewicht kann bis zur Einschränkung der psychischen Entwicklung dadurch gestört werden, da Affekte nicht mehr kontrollierbar sind (z. B. Impulsdurchbrüche) oder die Umwelt nicht mehr differenziert wahrgenommen wird (z. B. Schwarz-Weiß Denken).

Kriterien der  fokussierten Psychotherapie

Die Unterschiede in der Beziehung zur TP oder analytischen Psychotherapie sind farblich unterschieden.

  1. Eine fokussierte Psychotherapie, im Folgenden FP genannt, ist wie jede TP darauf ausgerichtet, Affekte und Gedanken assoziativ beim Patienten  zuzulassen, zu deuten und zu bearbeiten. Dazu kommt nach entsprechender Validierung der Problematik die Arbeit an der Übertragung (z. B. Wiederholungszwang dem Therapeuten gegenüber, sich zu rechtfertigen) wie bei allen psychodynamischen Therapien.
  2. Ziel ist aber, realisierbare emotionale Wünsche (z. B. Ruhebedürfnis) und kognitive Wünsche (z. B. Spiritualität) herauszuarbeiten.
  3. Die FP stellt in der Folge einen Versuch dar, kognitive Inhalte (z. B. Sinninhalte) und Affekt (z. B. Agression) des Patienten zu fokussieren (z. B. Diskussions- und Konfliktfähigkeit). Hier unterscheidet sie sich von einer TP, die nicht Ziele, Inhalte oder bestimmte Bedürfnisse unbedingt verdichtet, sondern die Fokussierung  dem Übertragungsprozess und seiner Deutung  überlässt.
  4. Die FP übt die in der Übertragungsarbeit erarbeiteten apathogenen Ziele (kognitiver und emotionaler Art) ein. (z. B. Durchsetzungsfähigkeit statt Impulsdurchbrüche).
  5. Je nach Psychodynamik eines Patienten können daraus auch Inhalte für Achtsamkeitsübungen, (z. B. was will ich jetzt gerade…) oder Sinninhalte (z. B. Spiritualität, Glaube) abgeleitet werden desweiteren Ressourcen (z. B. selbst etwas herstellen, anstatt es zu kaufen) erarbeitet werden.
  6. Hinzu kommt die angestrebte Selbstregulation psychodynamischer Prozesse [Beutel & Huber 2006] im thera-peutischen Dialog. (Im Dialog denkt jeder mit, der Patient und der Therapeut, beide kommen zu einem Ergebnis, das vorher nicht bekannt war, weil dieses erst durch beide in einem zirkulären Prozess erarbeitet wurde – Prinzip der Rekursivität).
  7. Akzeptanz und Belassen sind wie bei allen psychoanalytisch geprägten Verfahren (TP) ein wesentlicher Bestandteil der FP, da sie die verinnerlichte Grunderfahrung des Patienten als Kind wiederholt, die dieses je nach Entwicklung wieder verlor. Er wird in der FP lediglich sehr betont.
  8. Die Therapie kann als Ausdruck der Elternfunktion bzw. als Holdingfunktion („Gehalten werden“) des Patienten gesehen werden.
  9. Containing. Der Psychotherapeut  ist für den Kranken ein „Gefäß“  (Container), das Gefühle der diffusen Angst und Destruktion aufnimmt und geordnet, transparent und beherrschbar, d.h. ichdysthon an ihn „zurückgibt“ (als  fokussierte Furcht und  legitime Agression).
  10. Der Therapeut schafft durch ständige Validierung autonomer Anteile des Patienten (dessen Gefühlsäußerungen z. B.)  die Voraussetzung zur Reifung durch Erfahrung [Bion, 1992; vgl. auch Winnicott, 1994]. Sie erfolgt wie in jeder TP z. B. durch Handlung im Setting (z. B. Zuspätkommen des Patienten), durch Zulassen emotionaler Reaktionen wie Frustration (vielleicht Ärger über den Therapeuten). Sie erfolgt im Besonderen aber außerhalb des therapeutischen Settings in interpersonellen Beziehungen  mit  bewältig-baren  Konflikten (z. B. Gespräch mit dem Partner). Sie werden in der Therapie validiert und bearbeitet.
  11. Ambivalenzen. Die FP betont und fokussiert bewusst und wiederholt die Validierung der vom Patienten in der  Therapie geäußerten emotionalen und kognitiven Widersprüche (z. B. Wut und Zuneigung, Liebe und Hass). Diese sind geprägt von verinnerlichten Objektrepräsentanzen (z. B. lustgeprägte Vaterfigur – z. B. moralisch geprägte Mutterfigur), die beim Patienten meist ein ständiges Konfliktpotential darstellen („Lust“ versus „Schuldgefühl“, „Böses“ versus „Gutes“). Sie sollten in einer Behandlung vom Patienten sukzessive als Ambivalenz integriert und akzeptiert werden, anstatt partiell abgespalten oder verdrängt zu werden (als das sogenannte „Böse“ z. B.).

Grundprinzipien der Technik

Angelehnt an Waldinger [s. Lohmer]  und andere [Heigl-Evers, Schiepek, Bandura und Bion],  stützt sich eine Fokussierte Psychotherapie auf folgende Grundprinzipien:

•  Klare Struktur des Settings.

•  Da Patienten projektiv abwehren (Angstobjekte verlagern), kommt es zu Störungen bei der Realisierung ih-rer Umwelt (ausgeprägte Idealisierung oder Besetzung dieser mit Vorurteilen). Hier setzt eine authentische Haltung des Therapeuten ein [Heigl Evers, Nitschke 1991], indem von ihm neben der Deutung Empathie und wohlwollende Kritik geäußert werden kann.

•  Verbalisiertes Anerkennen und Tolerieren auch schwieriger Aspekte des Patienten (Scham z. B.), die sich in der Übertragung manifestieren und mit denen gearbeitet wird.

•  Agressive oder autoaggressive Verhaltensweisen werden bei therapeutischem Widerstand des Patienten durch Klärung und Konfrontation erschwert. Dadurch werden sie als ichdysthon wahrgenommen („das kann ich nicht wirklich gemeint haben….“). Indirekte Gratifikation pathologischen Verhaltens, bzw. sekundärer Krankheitsgewinn werden dadurch versucht, zu vermeiden.

•  Erklärungen, Deutungen und Validierung haben den Sinn, Affekte, Gefühle, Kognition und Handlung synergetisch [Schiepek G. 1998] zu verbinden und Beziehung auch selbtsregulativ [Bandura A.,1994] zu gestalten. Das damit einhergehende Konzept der Selbstwirksamkeitserwartung (SWE) (engl. perceived self-efficacy) wurde von Bandura bereits in den 1970er Jahren entdeckt .

•  Man versucht, sich auf die Gegenwart (Dialog) zu beziehen (Deutung im Hier und Jetzt, z. B.: „Sie wollen mich wohl loswerden“ ), in geringerem Masse auf die Lebensgeschichte (z. B.: „Sie wollten wohl ihren Vater los werden.“).

•  Gefühle des Therapeuten in der Gegenübertragung weisen auf Probleme des Patienten hin (z. B. Mitleid oder Wut, was eine Bedürftigkeit oder eine narzisstische Haltung des Patienten widerspiegelt). Sie müssen angemessen zur Sprache kommen (z. B.: „Sie brauchen vielleicht Hilfe.“ oder: „Sie brauchen wohl niemand.“)

•  Validierung der Erfahrungen außerhalb der Therapie, soweit diese progressive Aspekte beinhalten und somit die Möglichkeit zur Erfahrung und Entwicklung bieten  [Bion, W., 1992].

Ziele

Die therapeutische Arbeit umfasst zwei basale Kriterien mit zehn Zielen. Diese sind:

A. Kriterium AKZEPTANZ

1. Fähigkeit zu trauern.

Fähigkeit des Patienten, unangenehme und schmerzliche innere Erfahrungen zu realisieren, zu akzeptieren und zu trauern. Denn es besteht bei ihnen zuvor u.U. ein unbewusstes Auflehnen gegen diese und die damit einhergehenden Affekte und Gedanken. Es wird in diesem Zusammenhang bewusst oder unbewusst auch versucht, belastende Gefühle zu deponieren („Ich habe den Schmerz, lasse ihn aber sinnbildlich in »Registern« ruhen“).

2. Differenzierung von Selbstanteilen.

Nach Erkenntnissen der Ichpsychologie werden Wahrnehmungen und Erkenntnisse in komplizierten Strukturen des Gehirns geordnet und registriert. Patienten können manchmal aber aus negativer, auch aus traumatischer Erfahrung heraus, bestimmte Wahrnehmungen nicht mehr fokussieren,d.h. ordnen und angemessen integrieren.  Sie können sich dann sozusagen verlieren, besonders wenn die damit einhergehenden Bedürfnisse (z. B. nach Trost) oder bestimmte mit dem Trauma einhergehenden soziale Ereignisse (z. B. Gewalt in der Gesellschaft) von Elternobjekten nicht gesehen werden. Erfahrungen können dadurch nicht mehr ausreichend wahrgenommen, bzw. verarbeitet werden. Es kommt zur Verdrängung. Wenn diese nicht mehr möglich ist, entwickelt sich eine Ich-Diffusion, die im Allgemeinen durch Projektion der Bedrohung auf Außenobjekte mit Spaltung (z. B. durch Wahn, z. B. durch Besessenheit), abwehrt werden. Ein alltägliches Beispiel sind Vorurteile, die mögliche Ängste vor fremden Einflüssen vermeiden, dafür aber die Realität ein wenig verändern. Heilung bzw. Differenzierung und Realitätsfähigkeit oder »Erkennen« ist wieder möglich, wenn der Patient „die Spreu vom Weizen trennen kann“, d. h. die innere und äußere Wirklichkeit zulässt, bzw. deren Widersprüchlichkeiten als solche erkennen darf (z. B. humanistische Ziele und soziales Unrecht beim Namen zu nennen).

3. Positive Selbstwahrnehmung.

Es ist die Fähigkeit, sich selbst in seinen Affekten, seinen Gewissensstrukturen, den Überschneidungen beider wahrzunehmen und die Fähigkeit zu erleben, sich dadurch seiner selbst bewusst zu werden. In pathologischer Hinsicht erfolgt Selbstwahrnehmung wie folgt: „Ich bin in meinen Augen nichts wert“, „ich habe ein negatives Selbstbild“ oder „das liegt mir nicht“ usw. Diesem negativen Erleben setzt die Deutung entgegen, Erfahrungen positiv zu validieren und umzuformen wie: „Ob es Ihnen gelingt, ist nicht so wichtig, Hauptsache, es macht Ihnen Freude“. „Kleine Schritte reichen.“ etc. Man zentriert sich auch in der Deutung nicht mehr auf Negatives („ich glaube, Sie leiden darunter…..“), sondern auf Positives und validiert es gleichzeitig, z. B.: „Es macht Ihnen, glaube ich, mehr Freude, ohne Wettbewerb Tennis zu spielen. Dann tun sie es doch oder gehen statt dessen Skifahren.“ Damit akzeptiert man „das, was geht“. Man fokussiert ich-kongruente Bedürfnisse, Fähigkeiten und Ressourcen. Kreativität und Selbstwirksamkeit wird möglich.

4. Entwicklung von Achtsamkeit.

Seit den Arbeiten zur Wirksamkeit achtsamkeitsbasierter Behandlung mit „Mindfulness-Based Cognitive Therapy“ zur Rückfallprophylaxe depressiver Episoden hat diese auch in der Psychotherapie Eingang gefunden [siehe auch MBSR von Kabat-Zinn (Mindfulness Bases Stress Reduction)]. Auch die  achtsamkeitsbasierte Behandlung in der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie [Reddemann. L. 2007] zeigt, wie fokussiertes Erleben in der Psychotherapie Achtsamkeit vermittelt. Genauso spiegelt das Schauen nach innen und außen in Psychotherapien Achtsamkeit wider, wie sie im Zen-Buddhismus gehandhabt wird [vgl. dazu M. Epstein, 2000). Die Wahrnehmung seiner selbst, bzw. die Fokussierung auf das Selbst ist Achtsamkeit, die erheblich zur Stärkung der Selbstwahrnehmung und des Ichs beiträgt. Man kann auch hier Metaphern zur Hilfe nehmen wie die von Descartes aus seinen philosophischen Schriften: „Ego cogito, ergo sum. – Ich denke, also bin ich.“. Oder eine Metapher eines Buchtitels von António Damásio (2014): „Ich fühle, also bin ich.“ Letztlich geht es um eine Konzentration auf psychophysiologische Abläufe, die in rekursiver Weise auf die Psyche des Patienten einwirken und ein Abgrenzung zur Umgebung gewährleisten bzw. eine Ich-Stärkung und Selbstfindung ermöglichen.

5. Integration von Ambivalenz.

Von Bedeutung ist, erarbeitete Sinninhalte des Patienten und die Realität nicht nur wie in einer psychodynamischen Therapie üblich als inneren Konflikt zu spiegeln und zu bearbeiten, sondern natürliche ambivalente Gefühle und Vorstellungen des Patienten zu betonen, zu validieren und zu belassen. Eine Metapher wäre: „Die Welt ist objektiv eine Kugel, subjektiv darf sie für Sie auch eine Scheibe sein.“ Oder: „Frieden ist ein sehr erstrebenswertes Ziel, auch wenn die Wirklichkeit oft anders aussieht.“ Diese Haltung scheint schwierig, ist es aber nicht, wenn Toleranz des Therapeuten zur „Selbst–Achtung“ des Patienten beiträgt. Es ist die Basis, Ambivalenz  zu „beachten„, zu fokussieren und in ihrer Polarität zu „belassen“ [Ideale versus Wirklichkeit]. Ganzheit ist dann Vielgestaltigkeit, sie integriert „richtig“ und „falsch“.

6. Erhöhung psychischer Flexibiliät

(Gleichgewicht von Wahrnehmung, Affekt, Kognition und Handlung). Psychische Flexibilität bedeutet, dass eine Person in einem stressgeprägten Zustand bei sich bleiben kann (sich annehmen kann) und sich gleichzeitig an Situationen anpassen kann, ohne ihre Ichstruktur zu gefährden. Psychische Flexibilität ist in einer Therapie kein absolutes Ziel, sie ist aber immer in Relation zu der Ichstruktur  zu sehen, die einem Patienten gegeben  ist (Fähigkeit zur Abgrenzung, zur therapeutischen Ichspaltung, zur Lockerung seiner Abwehr).

7. Emotionale Akzeptanz.

Emotional geprägte Ziele, z. B. das Bedürfnis nach Nähe, Geborgenheit, oder Abgrenzung haben Vorrang vor kognitiv geprägten Bedürfnissen (z. B. beruflicher Erfolg). Deshalb werden emotionale Lebensziele besonders validiert, die dazu dienen, die Ichstruktur und das Selbstwertgefühl zu fördern (innere Stimmigkeit). Diese eigenen Ziele des Patienten müssen durch den Therapeuten  sehr sorgfältig heraus-gearbeitet werden, damit in der Übertragung nicht die auf den Therapeuten projizierte Erwartungen von ihm angestrebt werden.

8. Ermöglichung von Selbstorganisation.

Selbstorganisationsprozesse lebender Systeme sind zirkulär und rekursiv, d. h. sie ändern sich selbst ständig und beeinflussen sich mit anderen Systemen gegenseitig [Förster & Glaserfeld, 2007].  Nicht nur der Patient, sondern auch der Therapeut ist somit in der zirkulären Interaktion der sich Ändernde, der wiederum damit auf den Patient positiv (oder negativ) einwirkt. Ein Psychotherapeut beurteilt einen Patienten einerseits neutral, andererseits auch nicht, weil er und Patient sich durch Sprache, Ausdruck, Alter, Geschlecht und Art der Erkrankung (z. B. hystrionische Störung) unbewusst gegenseitig beeinflussen. (Prinzip der Übertragung und Gegenübertragung). Objektivität ist somit immer auch ein Stück Subjektivität. Heinz von Foerster formuliert deshalb, dass es keine Objektivität gibt, genauso wie es keine wirkliche Wahrheit gibt. Es ist deshalb therapeutisch zu vertreten, Selbstorganisations- /Selbstregulationsprozessen in der Therapie zu vertrauen, wenn sie zur Ichstärkung und Autonomie beitragen. Oder anders ausgedrückt:  Wenn eine Beziehung tragend ist, wird ein  Patient genau wie jeder Gesunde durch sie reifen, da Prinzipien gewährleistet sind, die bei  jedem Kind zur Reifung beitragen, egal, wer die Eltern sind, die diese Bedingungen für das Kind erfüllen:
1. Sicherheit  2.  Respekt  und  3. Zuneigung.

B.  Kriterium IDENTIFIKATION

9. Identifikation mit Sinninhalten.

Sinninhalten können Heilung eine Richtung geben. Unter Sinninhalten bzw. Werten oder ihren Symbolen  verstehen wir klare und fassbare geistige Inhalte, die etwas darüber aussagen, wie der Patient lebt und wie er Prioritäten setzen will (z. B. Ehrlichkeit, z. B. Gerechtigkeit, z. B. Freiheit). Sie sagen auch etwas über die Ich-Funktionen, die für ihn selbst von Bedeutung sind und die er funktionell beherrschen will, aus (z. B. Abgrenzungsfähig-keit, z. B. Beziehungsfähigkeit). Sinninhalte haben ideellen Wert. Sie dienen der Orientierung. Sie werden therapeutisch jeweils mit der subjektiven Wirklichkeit des Patienten und seinen objektiven Möglichkeiten  abgeglichen. Dazu bedarf es in der Behandlung der Bearbeitung und Validierung z. B.: „Dass Sie ihr Sohn angelogen hat, ist schmerzlich, aber Realität. Ich verstehe sehr gut, dass sie deshalb enttäuscht sind. Ideale und Ethik passen nicht immer zur Wirklichkeit. Drücken Sie bei ihrem Sohn ihre Hoffnung aus, dass er das nächste Mal nicht lügen muss, weil er bei Ihnen zu sich selbst stehen kann“ Metapher: „Sie sehnen sich nach Ehrlichkeit, wissen aber, dass sie sie nicht immer ermöglichen können.“

10. Identifikation mit Zielen.

a.  Es geht darum, dass der Patient sich mit eigenen und von seinem Selbst akzeptierten kognitiven Zielen innerlich identifizieren kann und diese so weit es ihm möglich ist, selbst erreichen will. (Prinzip der Selbstwirksamkeit und Selbstregulation [vgl. A. Bandura 1994]. Damit dies gelingt, werden Erkenntnis-se, die sich aus der Übertragungsarbeit ergeben (z. B. Suche nach Idealen), aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Zu diesem Zweck werden auch Muster, die sich daraus ergeben, mit dem Patienten erarbeitet (z. B. harmonische Gesprächsführung) und versucht, umzusetzen, nicht aber solche, die mit seinem Selbst nicht konform gehen, d.h. mit denen er sich nicht identifizieren kann (z. B. will ein Patient vielleicht einen bestimmten Beruf nur erlernen, weil er in der Übertragung meint, damit den Vorstellungen seines Therapeuten zu entsprechen).

b.  Es ist hilfreich, mit dem Patient eine zeitliche Perspektive zu erarbeiten, die er auch will, ohne sich dem Übertragungsobjekt (Therapeuten) zu unterwerfen.

c.  Auch realisierbare und affektive geprägte Bedürfnisse werden erwogen, mit denen der Patient sich identifizieren kann (z. B. Kontaktbedürfnis). Wichtig ist, dass eine Validierung seiner Bedürfnisse  erfolgt und deshalb eine innere Akzeptanz eigener Gefühle durch den Patient möglich wird. Diese müssen mit dem Patienten bearbeitbar sein,  damit sie  ich-kongruent umgesetzt werden können. (Wie jemand dann kommuniziert, ist zweitrangig, wenn es ihm Freude bereitet.)

 

Änderung

Änderung wird in der Behandlung eines Patienten im Allgemeinen möglich

•  in einem Übertragungsprozess durch Deutung, besonders von Symbolinhalten („Was bedeutet z. B. für den Patienten ständige Auflehnung in der Therapie?“. „Ist sie Widerspruch, Rebellion, Einsamkeit oder Ausdruck von Befreiung?“. Usw.),

•  in einem selbstorganisatorischen Prozess, da sich Dialog, Beziehung und Handlung kybernetisch entwickeln (Prinzip der Selbstorganisation und Rückbezüglichkeit [Beutel M. E., Huber M, 2006]).

• durch Ich-Stützung (Wird die Ich-Struktur eines Patienten methodisch gestützt, beginnt dieser im Allgemeinen selbst, Erfahrungen zu sammeln, die Änderung ermöglichen.),

• durch Verinnerlichung von Sinninhalten,

• durch  Integration der Ambivalenz eigener  Gefühle und Bedürfnisse,

• durch Training der in der Psychotherapie erarbeiteten autonomen Bedürfnisse.

 

Anwendungsbereich

Psychodynamische  oder analytische Psychotherapie, die kognitive Kriterien integriert.

Verhaltenstherapie: hierüber liegen noch keine Erfahrungen vor. Grundsätzlich kann man das Modell sehr gut anpassen, da Übertragungsprozesse auch in der Verhaltenstherapie heute Berücksichtigung finden. Des weiteren finden sich die Ziele dieser Therapie auch in der Verhaltenstherapie.

Die Anwendungsmöglichkeit orientiert sich an der bestehenden kognitiven Funktionsfähigkeit des Ichs und an der ausreichenden Integrationsfähigkeit extra- oder intrapsychischer  Impulse.  Erforderlich ist auch eine Differenzierung von Übertragungsphänomenen. Je besser diese Fähigkeiten ausgeprägt sind, desto größer sind die Möglichkeiten der Anwendung des Verfahrens.

Sind diese Fähigkeiten weniger ausgeprägt, konzentriert sich die Arbeit verstärkt auf die emotionale Ich-Funktionen, d.h. auf Affekte, Gefühle und Bedürfnisse, die nicht nur emotionale Stabilität widerspiegeln, sondern auch die Entwicklung kognitiver Prozesse erst ermöglicht [Damásio, A.R. 2014]. Diese therapeutische Arbeit beinhaltet eine Fokussierung auf essentielle Ichfunktionen, die unser mentales und soziales Leben ermöglichen.

Da Affekte, Gefühle, Bindungswunsch und Motivation bzw. Kognition und Sinnsuche in einem therapeutischen Prozess synergetisch interagieren [s.a. Haken & Schiepek, 2005], entwickelt sich auch dadurch ein selbstorganisatorischer Prozess.
→ Insofern ist es wieder ein therapeutischer Prozess.

Auf Grund der Fokussierung auf Affekte, Gefühle und Bedürfnisse ist die Anwendung unkompliziert, auch,  weil die Fähigkeit zur therapeutischen Ichspaltung nicht zwingend erforderlich ist, sondern eine klare und begrenzte Struktur des Settings (Themenwahl). Ist dieses stabil und verlässlich aufgebaut, kann die Ichstruktur des Patienten relativ instabil sein. Die Therapie kann dann durch Validierung, Deutung im „Hier und Jetzt“ und eine dialogische (rekursive) Gesprächsführung gewährleistet werden.

Indikation

Depressionen, Angststörungen, chronisch somatische Erkrankungen z. B. Fibromyalgie und chronisch psychische Erkrankungen z. B. Zyklothymie.

Kontraindikation

Persönlichkeitsstörungen, Borderlinestörungen

Behandlung dieser siehe: Übertragungsfokussierte Psychotherapie (Transference Focused Psychotherapy, TFP) [Clarkin, Yeomans u. Kernberg 1999]. Sie geht vor allem von der objektpsychologischen Sicht Kernbergs aus. Seine Theorie geht auf die Arbeiten Fairbairns und Guntrip zurück. Auch die Ich-Psychologie in den USA hat bei der Therapie von Persönlichkeitsstörungen eine große Rolle gespielt. Kernberg hat dabei viel zur Erarbeitung eines psychoanalytischen Verständnisses von Persönlichkeitsstörungen und ihrer Abwehr (Spaltung und Projektion) beigetragen.

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Literatur:

 

  • Bandura A. (1994): „Lernen am Modell“, Klett Verlag, Thema: Selbstregulation  und Selbtwirksamkeit.
  • Beutel M. E. & Huber M. (2006): „Neurobiologische Grundlagen der psychodynamischen Psychotherapie“, pp 23-35, Lehrbuch der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapieverfahren, Print ISBN 978-3-540-25384-Springer Berlin Heidelberg.
  • Bion, Wilfred (1992) Lernen durch Erfahrung, Übers. Erika Krejci, Frankfurt.
  • Bohus, M.,& Huppertz M. (2006) Wirkmechanismen achtsamkeitsbasierter Psychotherapie, Zeitschrift f. Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie,Verlag Verlag Hans Huber, Heft 54, Number 4 / S. 265-276.
  • Clarkin, Yeomans u. Kernberg (2008): „Psychotherapie der Borderline-Persönlichkeit, Manual zur psychodynamischen Therapie“, 2. Auflage,  Schattauerverlag.
  • Descartes, René: „Philosophische Schriften in einem Band“, Felix Meiner Verlag Hamburg, (franz. und dt. Text parallel), „Discours de la methode“, Teil 4, Abschnitt 3, S. 55.
  • Damásio , António R. (2014): „Ich fühle, also bin ich: Die Entschlüsselung des Bewusstseins“, Ullstein eBooks.
  • Epstein, M. (2000): „Gedanken ohne den Denker. Das Wechselspiel von Buddhismus und Psychotherapie“, Fischer, Frankfurt/ M.
  • Foerster von, Heinz & Glaserfeld von, Ernst (2007): „Wie wir uns erfinden“.
  • Freud, Sigmund (1915). „Triebe und Triebschicksale. Psychologie des Unbewußten“, Studienausgabe, Band III, Fischer, Frankfurt am Main, Sonderausgabe 2000.
  • Haken, H. & Schiepek G. (2005): „Synergetik in der Psychologie“.
  • Heidenreich, T. &  Michalak, J.: „Achtsamkeit und Akzeptanz in der Psychotherapie“, Ein Handbuch.
  • Heigl Evers, A.& Nitschke B. (1991): „Das Prinzip Deutung und das Prinzip Antwort in der psychoanalytischen Therapie Zeitschrift Psychosomatische Medizin“ 37; 115- 127.
  • Krause, R.&J. Merten (1998): „Affekte, Beziehungsregulierung, Übertragung und Gegenübertragung“. In: Rohde- Dachser, Ch. (Hrsg.) Verknüpfungen. Psychoanalyse im interdisziplinären Gespräch. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S.181- 207.
  • Krause, R. (2002): „Psychoanalytische Affektforschung: Anwendungen auf die psychoanalytische klinische Arbeit“, In: Psychoanalyse im Dialog der Wissenschaften (Giampieri – Deutsch, P. Hrsg.), Stuttgart: Kohlhammer, 279-307.
  • Mainzer, K. (1997): „Gehirn, Computer, Komplexität —Komplexität neuronaler Netze“ pp 143-161.
  • Reddemann, Luise (2007): „Wozu Achtsamkeit in der Psychotherapie“, Psychologie des Bewusstseins, Band 6, LIT Verlag Münster.
  • Schiepek, Günter (1999): „Die Grundlagen der Systemischen Therapie“, Vandenhoeck & Ruprecht.
  • Spitzer, Manfred (2002) Lernen: Gehirnforschung und die Schule des Lebens, Gebundene Ausgabe, Spektrum, Akademischer Verlag.
  • Winnicott, D. W., (1994) Kinder, Gespräche mit Eltern. Klett-Cotta, Stuttgart 1994 Aus dem Englischen von Ulrike Stopfel 1. Aufl., 146 Seiten, broschiert.
  • Waldinger (1987) in M. Lohmer 2002, Borderlinetherapie, Schattauer-Verlag.