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Den Fokus für das Wesentliche zurückgewinnen

Die therapeutische Beziehung

Von: Dipl.-Psych. Sylke Aust | 22.01.2015

Die therapeutische Beziehung

oder:

Mit welcher therapeutischen Haltung gehe ich in die Beziehung zum Patienten?

 
Unter Psychotherapie verstehen wir die systematische Erkundung individueller Veränderungswünsche sowie Anregung, diese im Rahmen einer professionellen Unterstützungsbeziehung, die die Eigenaktivität und die Nutzung von Ressourcen fördert, zu realisieren. [s. Preß, H. und Gmelch, M., S. 363, 2014]

Wie sieht nun die Unterstützungsbeziehung konkret aus, wenn doch die meisten psychischen Probleme in (negativen) Lernerfahrungen wurzeln, die der Patient mit anderen Menschen gemacht hat? Tatsache ist, dass ein Patient, der die Therapie abbricht, weil er sich nicht vom Therapeuten verstanden fühlt, auch mit der besten Therapiemethode nicht „geheilt“ werden kann. Somit ist der Aufbau und der Erhalt einer funktionierenden Therapeut-Patient-Beziehung Voraussetzung bzw. Basis für jedes weitere erfolgreiche therapeutische Handeln. Sowohl Vertrauen als auch Achtung sind von Seiten des Patienten nötig, damit er sich überhaupt öffnen kann oder sich für Behandlungstechniken, die er nicht kennt oder deren Wirkung er noch nicht einschätzen kann, begeistern lässt. Werden die Beziehungsfaktoren vernachlässigt, dann scheitert die Behandlung.

Der erste Kontakt beinhaltet somit ein frühestmögliches Verständnis, welches Beziehungsangebot der Patient dem Therapeuten macht und was er sich von der Beziehung wünscht bzw. welche Bedürfnisse er an die Beziehung zu knüpfen scheint. Dies zu erkennen funktioniert nur, wenn der Therapeut dem Patienten in einer entsprechenden konsistenten Haltung begegnet, bei der es sich um ein zeitlich stabiles Merkmal einer Person handelt. Eine von lebensgeschichtlich entwickelten Werten und Überzeugungen geprägte konstante Haltung ist daher mehr wert (im Sinne einer Hierarchisierung) als eine inkonstante, welche sich nur situationsspezifisch zeigt. Eine flexible Anpassung eigener (untergeordneter) Haltungen an die Anforderungen des psychotherapeutischen Prozesses ist daher ebenso entscheidend wie die grundsätzliche Bewusstmachung und Reflexion der eigenen Haltung. Konkret bezieht die Haltung des Therapeuten daher Komponenten aus der eigenen Gedankenwelt (Kognitionen), der Verhaltensebene und des Ausdruckes (dabei geht es optimalerweise um Synchronizität und Gleichsinnigkeit, d.h. identische Überzeugungen oder Einstellungen) sowie die Realisierung der beiden Komponenten in ihrer Situationsabhängigkeit mit ein. Dies ist nichts anderes als die Authentizität. Die Herangehensweise an den Veränderungswunsch erfolgt in diesem Rahmen entweder lösungsorientiert (z. B. bei ambivalenten Motivationen), zielorientiert (sogenannte Annäherungsziele sind kommunikativer Bezugspunkt), ressourcenorientiert (die gesamte Person mit ihren biographischen und systemischen Bezügen), prozessorientiert (emotional – motivationale Prozesse), feedbackorientiert (subjektive Wahrnehmung des Patienten) oder aus einer Kooperation zwischen Patienten und Therapeuten heraus, d.h. beide  arbeiten an gemeinsam formulierten, vom Patienten als Experte seiner Erfahrungen in eigener Verantwortung getragenen Zielen. Der Therapeut steuert dabei die Gestaltung des Therapieprozesses durch Einbringen entsprechender Methoden. Dies setzt allerdings einen respektvollen Umgang beider Interaktionspartner ebenso voraus wie eine gute Balance zwischen Unterstützung und Fordern.

Dies impliziert im Patient-Therapeuten-Kontext Folgendes:

  • Aufrichtiges Interesse für das Erleben des Patienten.
  • Offenheit für Eigensinnigkeit, d.h. Reagieren mit wohlwollender Neugier, Erstaunen und Respekt vor eigensinnigen Zielen des Patienten, sofern sie sozial verantwortbar sind.
  • Vertrauensvermittlung in Ressourcen des Patienten.
  • Wertschätzung im Sinne von aufrichtigem Respekt und Interesse von Eigensinnigkeit.
  • Verantwortung für die Prozessgestaltung, ohne zu viel einzugreifen.
  • Konsistenz (verbal und nonverbal).

Mittels diverser therapeutischer Techniken kann die therapeutische Grundhaltung zu einem wirkungsvollen Agens im tragenden und katalytischen Sinne werden.

So setzen die oben genannten Oberpläne neben der Handhabung von Techniken vor allem zwei Faktoren für eine konsistente Haltung bedingungslos voraus: Bereitschaft und Zeit.  Damit dürfte das subjektive Wohlbefinden, d.h. die Psychohygiene im Kleinen gesichert sein, die Motivation am therapeutischen Arbeiten, das Offenbleiben und Neugierigsein für neue Prozesse, neue Patienten.

Nötig hierfür sind schlussendlich förderliche Umweltbedingungen, Reflexionsmöglichkeiten (z. B. Supervision, Intervision), soziale Unterstützung (z. B. im Austausch, in den Teamsitzungen) und „Sich Zeit nehmen“, um automatisiertes Verhalten selbstkritisch  zu hinterfragen.

Da wir in unserer Klinik ein sehr intensives Setting mit bis zu drei vom fallführenden Therapeuten (Psychologe oder Arzt) durchgeführten Einzeltherapien und weiteren Einzeltherapien aus dem Fachbereich sowie den Gruppentherapien anbieten, sind ein offenes kollegiales und direktes Miteinander, Pausen zwischen den therapeutischen Sitzungen, Team- und Fallsupervisionen (extern und intern) und eine grundsätzliche, fundierte Einarbeitungszeit für neue Kollegen und vor allem Kollegen in der Ausbildung ein Gütekriterium, das sich in Arbeitszufriedenheit und Engagement niederschlägt.

Literatur:

  • Davison, Gerald C. / Neale, John M.: Klinische Psychologie, München 1996.
  • Zarbock, Gerhard: Heilen durch Erfahrung. Freiburg 1996.
  • Lampe, Astrid / Abilgaard, Peer / Ottomeyer, Klaus (Hrsg.): Mit beiden Augen sehen: Leid und Ressourcen in der Psychotherapie, Stuttgart 2013.
  • Reinecker, Hans (Hrsg.): Lehrbuch der Klinischen Psychologie, Göttingen 1994.
  • Preß, Hans / Gmelch, Markus: Die „therapeutische Haltung“, Psychotherapeutenjournal 4/2014, S. 358 – 366, Heidelberg.