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Mich wieder mit klarem Kopf auf die Partnerschaft konzentrieren zu können, das war das größte Geschenk.

Viel Klick in der Liebe

Von: Wanja Kunstleben | 17.03.2015

Viel Klick in der Liebe

oder

Der Einfluss Neuer Medien auf Partnerschaften

Das Internet und die Neuen Medien haben unser Leben verändert und dieser Wandel geht unaufhörlich weiter. Es gibt heute ungefähr 3 Milliarden Internetnutzer (Stand Ende 2014). Prognosen gehen von 3,6 Milliarden Nutzern im Jahr 2018 aus, die Zahl wird in den nächsten Jahren also noch rasant steigen. Im deutschsprachigen Raum wird das Internet von über 80% der Bevölkerung genutzt. In globalen Bedeutung kennzeichnen die Neuen Medien mit Internet und Mobilfunk ohne Frage die einflussreichste kulturelle Entwicklung unserer Zeit.

Es liegt auf der Hand, dass die Neuen Medien auch einen bedeutsamen Einfluss auf moderne Partnerschaften haben: auf die Art und Weise wie Partner sich heutzutage kennenlernen (Stichwort: Partnerschaftsportale und Online-Chats). Durch die ständige Erreichbarkeit und die Zeit, die wir online verbringen. Oder durch erweiterte Möglichkeiten zur gegenseitigen Kontrolle einerseits und zum Pflegen individueller Freiräume, aber auch von beziehungsgefährdendem Verhalten andererseits.

Man könnte meinen, in dem Maße, in dem die Neuen Medien unser Leben zu vereinfachen scheinen, haben sie es gleichzeitig – auch in unseren Paarbeziehungen – komplexer gemacht. Die Entwicklung der letzten Jahre ist so schnell vorangeschritten, dass die kulturelle Anpassungsbewegung der modernen Gesellschaft eigentlich beständig hinterherhinkt. Angesichts dieser „Anpassungslücke“ sind Paare stärker herausgefordert, eigene Antworten auf die Möglichkeiten und Herausforderungen zu entwickeln, die die Neuen Medien bieten und können sich nicht auf gesellschaftliche Umgangsnormen stützten. Es lohnt sich daher, diese Einflüsse genauer zu betrachten und Ansätze für einen bewussteren Umgang zu entwerfen.

Überall erreichbar

Sicherlich erleichtert es uns das Handy, immer und überall mit dem Partner in Kontakt zu bleiben. Verliebte können auch in der Entfernung noch bis spät in die Nacht miteinander chatten, telefonieren oder sich Liebesgrüße schicken. Das stressige Familienleben kann deutlich entlastet werden, wenn die stillende Mutter dem einkaufenden Mann noch eben durchgeben kann, dass er bitte noch Windeln Größe 3 mitbringen soll. Diesen Entlastungen steht entgegen, dass sich unser Leben auch deutlich beschleunigt, da Informationen und Kommunikationswege stets verfügbar sind und schnell genutzt werden können. Bei Selbständigen und bei Arbeitgebern, die im Bereich der Neuen Medien arbeiten ist es ein weitverbreitetes Phänomen, dass auch in der Freizeit Erreichbarkeit erwartet wird. Aber auch im privaten Bereich gewöhnen wir uns daran, dass die Zeit, in der wir eine Rückantwort erwarten immer kürzer wird. Studien zufolge verbringen wir zudem einen wachsenden Teil unserer Freizeit online: im Durchschnitt sind es täglich bereits 53 Minuten (Männer mehr als Frauen) [1]. Diese Zeit geht von der Zeit ab, die wir mit unserem Partner verbringen können.

Für die intime Zweierbeziehung stellt sich ein doppeltes Problem: nämlich in punkto Zeit und in punkto Exklusivität. Bindung bracht den ungestörten Zweierkontakt und Nähe braucht Zeit, braucht Entschleunigung. Paare müssen Raum schaffen für Exklusivzeit und Qualitätszeit. Dabei ist Nähe keine planbare Aktivität. Wir benötigen Momente des Schweigens, des Zögerns, des Suchens und der Auseinandersetzung mit der Eigenart und Andersartigkeit des Anderen, um intime Nähe herzustellen. (Intimität leitet sich vom lateinischen intimare ab und bedeutet: sich erkennen). Ein bewusster Umgang mit Neuen Medien ist daher mehr als nur eine reine Abwägung von Ressourcen: es geht nicht mehr nur um Zeitmanagement oder das Planen von Aktivitäten, sondern um die Frage: schaffen wir es noch ab-zuschalten, also nicht nur in den „Online-Standby“ zu gehen, sondern uns wirklich ganz offline und analog zu begegnen? Wenn wir alle 10 Minuten unser Smart-Phone checken, ob eine Nachricht für uns eingegangen ist, dann verbringen wir effektiv vielleicht nur eine kurze Zeit mit dem Gerät, sind aber die ganze Zeit innerlich auf „Stand-by“. Wir sind nicht wirklich da und in Gedanken surfen wir schnell noch ein Schnäppchen.

Wann ist Online-Feierabend? Wann sind Online-Ferien?  Müssen wir wirklich diese eine Mail eben noch schnell erledigen, oder reicht es, wenn wir das morgen tun? Darf ich einen Moment für mich genießen oder muss ich jedes herausragende Erlebnis gleich mal posten?

Wir sollten eine Kultur pflegen, in der wir unsere Online-Zeit und unseren Medienkonsum bewusst rhythmisieren. Also: Handy aus, Anrufbeantworter an, Computer runterfahren und den Fernseher heute mal abgeschaltet lassen. Die neue Qualitätszeit in der modernen Partnerschaft ließe sich vielleicht so formulieren: surfst du noch oder lebst du schon?

 

Mehr Freiheit – mehr Kontrolle: Herausforderung an Vertrauen und Verantwortung

Ständige Erreichbarkeit erhöht die Kontrolle. So angenehm dies im Einzelfall ist, so sehr gewöhnen wir uns an diesen Zugriff auf unseren Partner. Man kann es außerdem so einrichten, dass die Partner sich gegenseitig jederzeit „tracken“ können, also wissen, wo das Handy des anderen derzeit eingeloggt ist. Das mag je nach persönlichem Standpunkt und Empfinden nützlich oder übergriffig erscheinen, eine Grenze ist spätestens dann überschritten, wenn wir die Emails, Kurznachrichten und Telefonkontakte des Partners „überprüfen“. Das Argument: „wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten“ dient ebenso der Legitimation wie das vermeintlich begründete Misstrauen gegenüber dem Partner. In Paartherapiepraxen häufen sich die Schilderungen von derartigen Übergriffen bis hin zu gehackten Accounts und Drohungen mit Online-Rache etc.

Wenn man mal von den extremen Ausformungen absieht – wer könnte dieses Misstrauen ernsthaft verübeln? Denn zeitgleich mit unseren Kontrollmöglichkeiten, erhöhen sich durch Handy und Internet auch die Möglichkeiten der emotionalen oder sexuellen Untreue.

Diese Entwicklungen fordern Partnerschaften an einem empfindlichen Punkt heraus. Es geht um das Verhältnis von Freiheit und Verantwortung in der Paarbeziehung, um den Umgang mit Freiräumen und Autonomie. Es wird häufig übersehen, wie wichtig für eine gesunde Partnerschaft die Freiräume sind. Jeder Mensch braucht Raum, in dem er dem Anderen keine Rechenschaft schuldig ist, in dem er dem Anderen nicht beständig Rede und Antwort stehen muss. Die überhöhte Erwartung an die Unbedingtheit der Zuwendung in der Partnerschaft kann hier zu einer gefährlichen Verdrängung dieser Autonomiebedürfnisse führen, nicht selten ein Grund für das Entstehen von sexueller Unlust und latenter Unzufriedenheit.

In gewisser Weise eröffnen die Neuen Medien auf den ersten Blick vor allem viele neue Freiräume. Bei genauerer Betrachtung fordern jedoch gerade dieser Umstand und die zeitgleich erhöhten Zugriffsmöglichkeiten auf den Partner unser Autonomieverständnis ganz neu heraus. In einem Bild ausgedrückt könnte man es so sagen: dadurch, dass der Partner zunehmend den Vordereingang meines Hauses überwachen kann, mich erreichen kann, weiß wo ich bin und was ich tue, fühle ich mich weniger frei, unbeobachtet und ohne Arg meiner eigenen Wege zu gehen. Daher baue ich mehr und mehr Hintertürchen in mein Haus, denn dies ist dank der Neuen Medien zunehmend einfach geworden.

Wenn Freiräume zu Hintertüren werden, heißt das, dass wir eigentlich gar keinen Frei-raum nutzen, sondern einen verbotenen Raum. Der „verbotene“ Ausbau emotionaler oder sexueller Hintertüren führt dazu, dass eine konstruktive Auseinandersetzung über Autonomiebedürfnisse nicht mehr ausreichend geführt wird. Anstatt Grenzen klar zu markieren, auszuhalten und auszuhandeln, statt das Recht auf Eigenraum einzufordern und dem Anderen zuzugestehen, entstehen Heimlichkeiten. Das eigene Integritätserleben kann dabei zunehmend beschädigt werden: das zunächst harmlos erscheinende Hintertürchen wird zunehmend bedeutsam. Das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun kann zu einer fatalen Mischung aus Nervenkitzel und Schuldgefühlen führen, die das Erleben einer ebenbürtigen und verbindlichen Partnerschaft unterhöhlen. Gleichzeitig steigt das Kontrollbedürfnis auf beiden Seiten und es droht ein Klima des Misstrauens. Wenn Schuldgefühle entstehen ist es also höchste Zeit, über Freiräume zu sprechen.

So wichtig wie die Aufrechterhaltung des Vertrauens, ist auch ein Bewusstsein für die notwendige Verantwortung. Was nämlich durchaus neu ist an den digitalen Hintertürchen, ist die durch Verfügbarkeit und Anonymität herabgesetzte Schwelle.

Untersuchungen zeigen etwa deutlich, dass emotionales und sexuelles Chatten ein niedrigschwelliger Einstieg in die Außenbeziehung sind [2]. Kontakte werden aufgrund der exklusiven Interaktion im geschlossenen Chat und der Anonymität der Online-Kommunikation schneller intim als im realen Leben. Der Kontakt wird zudem nicht durch gemeinsames Erleben hergestellt, sondern ausschließlich über Informationsaustausch. Folglich müssen verstärkt Informationen ausgetauscht werden, die attraktiv sind. So entsteht eine Pseudonähe, die das berühmte Kribbeln im Bauch auslösen kann, das bekanntlich dazu angetan ist, aufregende, aber auch recht komplizierte Folgen nach sich zu ziehen. Dabei bedeutet „emotionales Chatten“, dass intime emotionale Themen mit dem Chatpartner ausgetauscht werden, die eigentlich den Bereich der Partnerschaft betreffen. Das wird natürlich besonders heikel, wenn in der Partnerschaft emotionale Defizite empfunden werden. Die Abnahme der unmittelbaren emotionalen Gratifikation durch die Beziehung ist jedoch ein normaler Vorgang. Besonders vulnerabel sind Beziehungen in Phasen, in denen eine deutlichere Verstärkererosion stattfindet, etwa durch die Geburt eines Kindes, berufliche Veränderungen, Krankheiten oder psychische Krisen.

Auch Pornographie und andere sexuelle Inhalte sind im Internet leichter erreichbar. Dies kann auch einen Puffer bieten, indem die Befriedigung von sexuellen Bedürfnissen möglich wird, die in der Partnerschaft offen bleiben, ohne dazu „analoge“ sexuelle Kontakte einzugehen. Anderseits ist dies natürlich eine heikle Gratwanderung. Es besteht die Gefahr, dass Probleme in der Sexualität durch Ausweichen verschleppt und nicht angegangen werden, dass die Beziehung verletzt und gefährdet wird.

Es braucht also durchaus einen verantwortlichen Umgang mit den neuen Freiräumen. Aber wir sollten nicht übersehen, dass das eigentliche Gut, das es zu schützen gilt, das gegenseitige Vertrauen und Raum-lassen ist.

Natürlich ist die Frage von Vertrauen und Kontrolle, von Autonomie und Verbindlichkeit so alt wie die menschliche Liebesbeziehung selbst. Einen Umgang mit diesem Spannungsfeld zu finden ist daher keine neue Aufgabe. Ich beobachte jedoch, dass in Paar- und Einzeltherapien das Thema immer häufiger in Verbindung mit den Neuen Medien auftaucht. Daher scheint mir ein Blick auf die hier beschriebenen speziellen Bedingungen dieses neuen Kontextes lohnenswert. Welche Art der Erreichbarkeit ist wirklich wünschenswert? Wie kann diese eine sinnvolle Begrenzung finden? Wieviel digitale Kontrolle ist wirklich sinnvoll und förderlich? Wie nutze ich die Freiräume der Neuen Medien, ohne dass „verbotene“ Hintertüren entstehen, die früher oder später als Fluchtweg fungieren?

Traumpartner 2.0

Natürlich bietet das Internet auch für viele Menschen die Chance einen Partner zu finden. 10-18% der Ehen entstehen heute durch Dating-Plattformen [3]. Tatsache ist jedoch, dass die Online-Partnersuche die Partnerwahl verändert, da Online andere Formen der Selbstdarstellung und Kontaktanbahnung wichtig werden. Beispielsweise werden Fotos häufig erst später aufgeschaltet. Statt des Attraktivitäts-Halos entscheidet also erstmal der Persönlichkeits-Halo. Es rückt eine neue Form des Small-Talks in den Vordergrund: sozusagen ein Small-Chatting, bei dem der Flirt-Faktor durch sprachliche Mittel hergestellt werden muss. Der Online-Avatar, den wir im Chat präsentieren, sollte möglichst smart, originell, lebenslustig, weltoffen, erfolgreich, selbstbewusst und zielstrebig sein. Und natürlich lässt sich hinterfragen, ob die Qualitäten, mit denen man im Internet Attraktivität herstellt wirklich authentische und belastbare Werte darstellen. Und auch wenn tatsächlich viele Partnerschaften Online beginnen, ist der Weg dorthin sicher häufig genug von ernüchternden Erfahrungen gepflastert und es ist Vorsicht angezeigt, um sich vor unseriösen Angeboten zu schützen. Aber mal ehrlich: war das früher wirklich anders, als die Disko oder der Sportverein die wesentlichen Aquisebereiche darstellten? Übrigens steht der Arbeitsplatz nach wie vor auf Platz Eins der Anbahnungs-Charts (nach Zahlen in den USA und im deutschsprachigen Raum). Hier scheint die analoge Welt der digitalen Suche immer noch vorgezogen zu werden.

Die bereits beschriebene Pseudo-Nähe, die in Online-Chats entstehen kann bringt meines Erachtens die Gefahr mit sich bei den ersten Treffen das Entstehen einer fundierten und gewachsenen Nähe zu übergehen. Ich würde daher dazu raten, sich mit sexueller Intimität etwas Zeit zu lassen, sonst wird das Auseinandergehen umso aufreibender, wenn man feststellen sollte, dass man doch nicht so gut zusammen passt.

Online begonnene Partnerschaften scheinen jedenfalls genauso zu festen und befriedigenden Beziehungen zu führen wie solche, die Offline entstanden sind. Allerdings entstehen über Dating-Portale und Online-Chats naturgemäß häufig zunächst mehr Fernbeziehungen und die Freundes- und Bekanntenkreise sind häufiger nicht miteinander verbunden. Wenn aber diese Hürden und die oft aufreibende Suche in einer unendlichen Flut an Online-Profilen genommen sind, sprechen die Zahlen verschiedener Studien dafür, der Online-Partnersuche mit Offenheit und dem Blick auf die Chancen zu begegnen. Eine Studie der PNAS aus den USA mit 19.000 Paaren aus dem Jahr 2012 legt sogar nahe, dass es möglich ist über die Online-Suche die Passung zu erhöhen. Zumindest in der Gruppe der Befragten mit höherer Bildung, die sich möglicherweise mehr mit den eigenen Vorstellungen auseinandergesetzt hat, scheint die Zufriedenheit und Stabilität der online begonnenen Partnerschaften höher zu sein, als in konventionell begonnenen Beziehungen.

 

Ausblick

Die Neuen Medien bieten zweifellos viele Chancen und es wird der Mehrheit der modernen Paare sicherlich gelingen, gute Antworten auf die Herausforderungen zu finden. Wir stehen als Gesellschaft insgesamt und in unseren Partnerschaften jedoch noch am Anfang, wenn es darum geht, den Einfluss dieser Entwicklung auf unser Leben wirklich zu verstehen. Daher möchte ich für eine aktive und bewusste Beschäftigung mit den Neuen Medien und ihrem Einfluss auf unser Leben werben, damit es gelingt den Abstand zwischen den immer rasanteren technischen Entwicklungen und einer gewachsenen Kultur des Umgangs damit zu verringern.


[1] Quelle: Prof. Dr. Guy Bodemann, Ordinarius der Universität Zürich auf einem Vortrag am 14.08.2014 in Zürich.
[2] Quelle: Prof. Dr. Guy Bodemann, Ordinarius der Universität Zürich auf einem Vortrag am 14.08.2014 in Zürich.
[3] Interessant wäre die Frage inwieweit durch die Möglichkeiten des Internets tatsächlich mehr Partnerschaften zustande kommen, oder inwieweit sich nur der Weg verändert. Verlässliche Zahlen hierzu dürften jedoch schwer zu generieren sein.
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