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Psychopharmaka bei Herzpatienten

Von: Dr. Lutz Sinn | 15.12.2013

Die Betrachtung des Einsatzes von Psychopharmaka bei Herzpatienten erfordert von allen beteiligten Fachgruppen eine verstärkte Aufmerksamkeit. Durch die älter werdende Population der Herzpatienten mit zahlreichen Interventionen, Devices wie Herzschrittmacher und Defibrillatoren sowie einer komplexen Polypharmakotherapie auf der einen Seite, andererseits der steigende Umfang der Verordnung von Psychopharmaka, führen zu einer größer werden Gruppe an gemeinsam behandelten Patienten. Wir wissen z. B., dass etwa 30% der Herzinfarktpatienten eine depressive Entwicklung nehmen können, andererseits eine Depression ein starker Risikofaktor für einen erneuten Herzinfarkt darstellt. In einer kürzlich publizierten Studie aus der Charité kam ein Warnsignal: Patienten nach akutem Koronarsyndrom mit neu begonnener SSRI- Medikation waren häufiger von major cardiac Events (MACE) bedroht als andere. Was sind die Ursachen? In den letzten zwanzig Jahren ist das Wissen und die Bedeutung um die Arzneimittelinteraktionen stark gewachsen, auch bezüglich der arrhythmogenen Nebenwirkungen nichtkardialer Medikamente bei Risikogruppen. Dabei sind alle gefordert: der Hausarzt, Internist, Psychotherapeut, Psychiater, Neurologe, Kardiologe und Apotheker, da erst oft mehrere Faktoren zu schweren Nebenwirkungen führen können.

Es gibt viele Daten, die eine Beeinflussung der metabolischen Risikofaktoren zeigen. Dies gilt vor allem für die Antipsychotika/atypische Neuroleptika der 2.Generation. Es gibt Überschneidungen zum Metabolischen Syndrom:

Metabolisches Syndrom NCEP- Definition:

  • Viszerale Adipositas:

  • Taillenumfang Männer >102 cm

  • Taillenumfang Frauen >88 cm

  • Diabetes mellitus

  • Hypertonie

  • Triglyceride >150 mg/dl

  • Erniedrigtes HDL (<40/<50 mg/dl)

Sowohl Diabetes- Inzidenz, Gewichtszunahme als auch die Dyslipidämie sind z. B. für Olanzapin zu beachten. Warnsymptomen einer Diabetes-Manifestation sind besondere Aufmerksamkeit zu widmen: Polyurie, Dehydratation, Gewichtsverlust, Erbrechen, Tachypnoe, Dyspnoe, Bewusstseinstrübung.

Über die Ursachen der Koinzidenz der psychotischen Erkrankung und der Stoffwechselstörung werden diskutiert:

  • genetische Disposition?

  • chronische Stressreaktion/ konsekutive Erhöhung der Stresshormone/ Hyperkortisolämie?

  • Lebensführungsfaktoren?

  • fettreiche und KH- reiche Ernährung? Bewegungsmangel?

  • potentielle Effekte der NL- Therapie?

Vermeidung von Fehlern bei der medikamentösen Therapie erfordert eine besondere Betrachtung. In einer Studie zu unerwünschten Arneimittelwirkungen einer Intensivstation erbrachte als Ursachen:

  • falsche Auswahl

  • Übertragungsfehler

  • Nichtbeachtung Nierenfunktion

  • Dosierungsfehler

  • falsche Applikation

  • Einnahmefehler

Im Krankenhaus- und Praxisalltag spielen noch viel mehr Arzneimittelinteraktionen eine wichtige Rolle.

Arzneimittel-Interaktionen kann man unterteilen in pharmakodynamische und pharmakokinetische Wechselwirkungen:

  • Pharmakodynamische Interaktionen

    • unmittelbare Beeinflussung in der Wirkung

    • synergistisch: erwünscht z. B. Schmerztherapie

    • antagonistisch

  • Beispiele unerwünschter Interaktionen:

    • sedierende Arzneimittel potenzierte Wirkung

    • Alkohol + Sedativa

    • Fluorchinolone+ Makrolidantibiotika: ++QTc

    • SSRI (Citalopram)+ NSAR: Verdopplung der Blutungsgefahr (Hemmung Serotonin- Transport in TZ)

    • SSRI+ OAK/ NOAK: OR für Blutung 2,6

  • Pharmakokinetische Interaktionen: ADME

    • Absorption/Resorption

    • Distribution: Plasmaeiweissbindung, Kompartimente, Lipophilie, Bluthirnschranke, Blutplazentaschranke...

    • Metabolisierung: Leber, Intestinum

    • Elimination: Niere, hepatobiliär-intestinal

  • Komplexbildungen

    • Bisphosphate mit Milch, Mineralwasser

    • Tetrazykline, Chinolone, Levothyroxin mit multivalenten Kationen

  • Kompetition um Carrier (P- Glycoprotein): Membrantransporte

    • Bioverfügbarkeit von Digoxin steigt mit oraler Einnahme von Verapamil

    • Carbamazepin, Phenytoin, Johanniskraut: starke Induktion P- gp Auswärtstransporte

  • Induktion von Enzymen und anderen Influx-/ Effluxtransportern

    • Metformin- Aufnahme gehemmt über Inhibition durch Repaglinid

Bei Betrachtung des Metabolismus ist insbesondere das hepatische Cytochrom-P 450-System ist von Bedeutung.

  • Hemmung Abbau- Cytochrom P450 System: Phase-1-Oxidation

  • CYP 3A4: breitetes Substratspektrum → Wichtig bei Substraten mit geringer therapeutischer Breite!

    • OAK: Erythromycin, Clarithromycin, Amoxicillin, Doxyzyklin, Ketokonazol, Fluconazol (auch CYP 2C9)

    • Ciclosporin → Grapefruit (Naringin): 1 Glas Saft+ Midazolam: erst nach 3 Tagen normale Bioverfügbarkeit von Midazolam wieder erreicht!

  • CYP 2D6: SSRI sind potente Inhibitoren (Fluxetin, Paroxetin)

    → Hemmung Metabolismus Metoprolol: RR, HF....

    → Hemmung Bildung aktiver Metaboliten von Codein → Morphin o. Tramadol → O-Desmethyltramadol

    → Hemmung Aktivierung Tamoxifen zu Endoxifen: erhöhte Mortalität Mamma- Ca

  • CYP 1A2: Fluvoxamin, Fluorchinolone (Ofloxacin, Ciprofloxacin)

    → Hemmung Metabolismus Theophyllin und Clozapin (letale Verläufe

  • SSRI: Verstärkung serotinerge Effekte: z. B. Moclobemid, Tramadol, Triptane

    → SSRI+ Triptane erhöhen Blutdruck und verengen Koronarien lange HWZ der SSRI beachten!

  • PPI (Omeprazol) hemmen CYP 2C19: Interaktionen Clopidogrel (Prodrug), Polymorphismen

  • PPI (Omeprazol) hemmen Abbau SSRI: Citalopram, Gefahr UAW → QTc+

  • PPI (Omeprazol) hemmt Demethylierung von Diazepam: Omeprazol 20mg → HWZ + 36%, — Clearance 27%

    Omeprazol 40mg → HWZ + 130%, — Clearance 57%

    Pantoprazol unbedenklich

Beschleunigung Abbau:

  • Rauchen = Induktion CYP 1A2 (Substrate: Imipramin, Clozapin, Naproxen, Theophyllin)
  • Omeprazol = Induktion CYP 1A2
  • Carbamazepin = Induktion CYP 3A4 (Gerinnungshemmer, Statine)PhenytoinHyperforin

Was sind nun die Risiko-Konstellationen, bei denen man mit besonderer Vorsicht den Psychopharmakaeinsatz wählen muss? Bei Betrachtung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen wird zunehmend auf Genderspezifische Unterschiede hingewiesen:

  • Infarkte bei Frauen 10 Jahre später

  • Angina pectoris und akutes Koronarsysndrom ohne Koronararterienverschluss bei Frauen häufiger

  • Schlaganfälle töten häufiger Frauen als Männer

  • viele Nierenerkrankungen verlaufen bei Frauen schwerer

  • Arrhythmien bei Verlängerung der QT- Zeit, erblich oder arzneimittelbedingt, treffen v.a. Frauen.

  • UAW sind bei Frauen 1,5 x häufiger

Es gibt Hochrisikogruppen für einen plötzlichen Herztod:

  • Genetischer Hintergrund

  • Hypertrophische Kardiomyopathie

  • Arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie

  • familiäre dilatative Kardiomyopathie

  • Laminopathie

  • Ionenkanalerkrankungen= Channelopathien (z. B. LQTS)

  • katecholaminerge polymorphe ventrikuläre Tachykardie

  • Ischämie- KHK

Die Prävalenz des Long-QT-Syndroms (LQTS) wird auf 1:2500 geschätzt. In den USA versterben daran jährlich ca. 4000 Menschen. Vom ersten Symptom bis zur Diagnosestellung vergehen im Mittel 5 Jahre. Man unterscheidet 12 Subtypen, wobei LQT 1-3 etwa 95% aller LQT- Patienten entsprechen.

Wie misst man die QT- Zeit?

Ableitung II oder V5

  • 50mm/sec. Vorschub

  • Ruhe-EKG, ggf. 4 min. nach Belastung

  • keine Computergläubigkeit!

  • manuell nachmessen!

  • Tangentenmethode

  • Bazettformel: für HF 60-80/min

  • Über-/ Unterkorrektur

  • Auf den ersten Blick: QT>1/2 RR- Abstand: verlängert!

Gibt es einen Grenzwert für QT- Zeit und frequenzkorrigierte QTc?

  • hohe intraindividuelle Variabilität: 76-102 ms/24h

  • mittlere QTc bei Gesunden 400 ms

  • Grenzwert?

    • Grenzwert allgemein: 440 ms

    • Männer: >450 ms kontrollbedürftig, bis 450 ms noch „normal“

    • Frauen: > 470ms kontrollbedürftig, bis 460 ms noch „normal“

  • >500ms hohes Risiko für TdP

Bei LQTS 1-3 zeigen sich typische EKG-Muster und klinische Präsentationen.

Muster- Erkennung im EKG:

  • LQT1: wide broad based T, mgl. R in V1, negative T-Wellen möglich

  • LQT2: low amplitude widely splitted, gekerbte T-Wellen

  • LQT3: long ST segment, peak and tall T.

Klinisches Setting:

  • LQT1: Anstrengungssynkope, emotional, Schlaf

  • LQT2: psychoemotionale Belastung, akustische Reize...

  • LQT3: aus Bradykardie heraus...Schlaf


Es gibt einen einfachen Score zur Diagnosestellung LQT: SCHWARTZ- SCORE

Die medikamentöse Beeinflussung der QT- Zeit ist bei den Antiarrhythmika der Wirkmechanismus:

  • Verlängerung Aktionspotential → Zunahme Refraktärzeit → Verlängerung QT z. B. bei Sotalol, Amiodaron, Propafenon, Flecainid

Diese Wirkung ist aber auch Quelle der proarrhythmogenen Nebenwirkungen:

  • Sotalol (III): 1,8-2,3% , Chinidin (Ia): 4%, Amiodaron (Mehrkanal, III): 0,5% TdP

Aber nicht alle Patienten mit Verlängerung der QTc haben ein LQT, nur 10-15% weisen ein genetisches LQT der bekannten Gen- Loci auf. Patienten mit LQTS sollten keine potentiell QT- verlängerten Medikamente erhalten (Nachlesbar unter www.qtdrugs.org und www.torsades.org).

Die Inzidenz von QT- Verlängerungen sind unter nichtkardialer Medikation viel seltener, aber durch die millionenfache Verordnung ist die absolute Zahl höher: TdP bei

  • Cisaprid: 1:120.000; 386 schwere Arrhythmien,125 letal, 50 unklare Todesfälle

  • Azithromycin 0,08/1 Mio., Clarithromycin 0,34/1 Mio., Grepafloxacin 3,8/1 Mio.

  • Prokinetikateils vom Markt genommen: für Dromperidon 4fach erhöhtes Risiko für plötzlichen Herztod

Dies führte zu einem Rote Hand Brief 2012: Dosisbegrenzung, keine Kombination mit Citalopram, Makrolide und anderen potentiell QT- Zeit verlängerten Medikamenten.

Das Risiko für maligne Kammerarrhythmien unter Medikation ist besonders hoch bei:

  • genetischem LQT

  • vorbestehenden EKG- Veränderungen: QT, pathologischen U- Wellen

  • Hypokaliämie, Hypomagnesiämie

  • QT- verlängernde Begleitmedikation

  • hohen Plasmakonzentrationen

    • Überdosierung

    • Intoxikation

    • pharmakokinetische Interaktionen (CYP!)

  • nicht immer eine Frage der Dosis: Sotalol, Chinidin

  • Bradykardie: Sick Sinus, AVB, VES

  • weibliches Geschlecht: doppeltes Risiko

  • Linksherzhypertrophie

  • Alter >65 Jahre

Bei Psychopharmaka kommen sowohl bei den klassischen Antipsychotika als auch den trizyklischen Antidepressiva und SSRI QT- Zeitverlängerungen und Torsade-de-point-Tachykardien (TdP) vor und es treten Todesfälle dadurch auf. Dies ist besonders zu beachten bei i.v.- Applikation von Haloperidol mit Notwendigkeit der Begrenzung der Dosis. Auch die neueren Antipsychotika haben unterschiedliche Effekte: Sertindol: QTc + 3,1- 7,8% > 500ms, Ziprasidon: QTc + 0,06%, Risperidon: moderat bei älteren Patienten, gefährdet bei gleichzeitiger CYP 2D6 Inhibition: Fluoxetin, Proxetin; Clozapin und Quetiapin zeigen geringe QTc+.

Daneben sind Intoxikationen zu beachten: Amisulprid 73% QTc+ und 7% TdP, Olanzepin und Zotepin QTc+, Sertindol und Sulpirid TdP. Auch Kombinationen bergen mglw.

Gefahren: Kombination mit SSRI: +QTc um 24±21 ms. Bei den Antidepressiva gibt es neben den Einzelfallberichten jetzt auch einen Evidenz aus mehrjährigen Datenbankergebnissen:

  • Imipramin, Amitryptilin, Nortriptylin, Desipramin, Maprotilin, Doxepin: QTc+++

  • Mirtazapin, Clomipramin, Trazodon: (+)

  • SSRI, Venlafaxin, Duloxetin, Reboxetin: in Zulasungsstudien keine QTc-Beeinflussung, Einzelfallberichte: Flouxetin, Citalopram (s.unten!), Venlafaxin bei tox. Dosiserung oder RF: QTc+, Lithium >1,2mmol/l: QTc++

  • SWEDIS – Register 1991- 2006 TdP: Citalopram 9 Fälle

  • FDA- Datenbank 2004-2007 TdP: Citalopram 12, Fluoxetin 12, Paroxetin 11, Mirtazapin 10

Aus den Registerdaten ergaben sich dringliche Warnhinweise, die zu einem Rote Hand Brief führten (31.10.11, 5.12.11):

  • bei >65 Jährigen: Citalopram (Cipramil) max. 20mg, max. Dosis 40mg/d

  • bei >65 Jährigen Escitalopram (Cipralex): max. 10mg/d

  • KI für gleichzeitige Gabe anderer QTc- verlängernden Medikamente

Für Methadon gelten QT-Zeit Verlängerungen und TdP- Inzidenz dosisabhängig im Ausmaß wie bei Sotalol, was v.a. zu beachten ist bei Mangelernährung bei Tumor oder Suchtpatienten durch veränderte Plasmaeiweißbindung: Levomethadon 28%, Methadon 23% QTc >470ms. Ebenfalls großen Einfluß haben Co- Medikation, Leberzirrhose, HIV, Hypokaliämie Niereninsuffizienz und Herzkrankungen bei diesen Patienten.

Empfehlungen für die Praxis zu Monitoring bei potentiell QT- Zeit verlängernder Medikation:

To do Liste

1. Identifizierung von Risikopatienten:

  • Verzicht?

  • Alternativen für eine potentiell QT- verlängernde Medikation?

2. Monitoring:

  • EKG, ggf. Belastung, LZ-EKG

  • Drugmonitoring: Cave! Co- Medikatio

  • E´lyte, Krea, Leber...

  • der informierte Patient: Erbrechen, Diarrhoe, Schwitzen, Lakritze...OTC-Medikation
    → Warnsymptome: Palpitationen, Schwindel, Synkope, Krampfanfall

  • EKG vor Therapiebeginn sowie unter steady state Bedingungen

  • Langsame Aufdosierung mit Dosisanpassung bei Ausscheidungsstörungen und unter Begleitmedikation mit konkurrierendem Abbauweg

  • EKG-Monitoring bei Risikopatienten sowie QT-verlängernder Begleitmedikation

  • Kalium im oberen NB: ≥4,5 mmol/l

    • Mangelernährung, Diarrhoe, Erbrechen

    • Diuretikatherapie, Alkoholabusus, Drogenabusus

    • Essstörungen

3. Bei Warnsymptomen:

  • EKG: QRS- Dauer

  • QTc manuell, vergleichen!

  • Kalium?

  • Dauer: Absetzen des potentiell auslösenden Medikamentes

  • Gabe Magnesiumsulfat

  • QTc + 30-60ms bedeutsam

  • QTc + 60ms: deutlich erhöhtes TdP- Risiko

  • bei Schenkelblock: keine QTc, QT + 60ms

 

Literaturangaben

  • Arzneimittelinteraktionen:
    • Agelink et al. DÄ 2006;103 (42) A 2802-8

    • Cascorbi, DÄ 2012;109 (33-34):546-56

  • QT- Syndrome und Ionenkanalerkrankungen:
    • Lehmann-Horn, DÄ 2000; 97 (26): 1826-31

    • Haverkamp et al., DÄ 1997; 94 (11): 667-72

    • Beckmann, Pfeufer, Kääb, DÄ 2011;108 (37): 624-34

  • Frauen sind besonders: Regitz-Zagrosek, DÄ 2010;107 (36): 1682-4

  • UAW und Notaufnahme älterer Patienten: Dormann, Sonst, DÄ 2013, 110 (13): 213-9

  • Psychopharmaka und QT: Wenzel- Seifert et al., DÄ 2011,108(41);687-93

  • Arzneimittel und QT: Haverkamp, DÄ 2002, 99 (28-29); 1972-79

  • Liste zu QT- verlängernden Medikamenten: www.qtdrugs.org, www.torsades.org