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Sich wieder über die alltäglichen Dinge freuen können, dafür bin ich dankbar.

Die Wirkung des Rechts auf die Gesundheit

Von: Johannes Hansmann | 03.01.2019

Das Recht umgibt den Menschen seit seiner Geburt. Die Komplexität der unser Leben beeinflussenden, ja bestimmenden Normen und ihre Ausgestaltung durch Gerichte, Institutionen und inzwischen auch internationale Organisationen ist für den Durchschnittsbürger dann geradezu erschreckend, wenn er entsprechende Entwicklungen durch seine lokal-nationale Brille mit Blick auf die Medien zu verstehen versucht: diese Medien, die ihrerseits je nach der Art ihrer Berichterstattung, politisch-ideologischen „Tendenz“ – wenn nicht sogar Ausrichtung – ein die parlamentarische Meinungsvielfalt verbiegendes, mitunter verzerrendes, mindestens gefärbtes Bild der hinter allem sich verbergenden, kaum noch zu erkennenden Anfangsrealität ihm darbieten.

Wie immer mehr zu beobachten ist, wenden sich große Teile der Bevölkerung (nicht nur Jüngere!), durch das Internet und seine immer exzessivere Nutzung zu Individuen mit autistischen Zügen sich wandelnd, von einer geistigen Auseinandersetzung mit Politik und Gesellschaft, aber auch von deren rechtlichen Grundlagen ab, mit für den Betroffenen oft gesellschaftlich negativen Konsequenzen.

Immer häufiger auftretende psychische Störungen führen zu Einweisungen in Klinken.

Wenn ein fataler Zusammenhang, wie soeben beschrieben, vorliegt, stellt sich die Frage, ob und wie solchen verunsicherten Patienten nach einem multimodalen Konzept medizinisch geholfen werden kann.

Die Vermittlung des leichteren Zuganges zum Verständnis des uns alle berührenden Rechtssystems – als ein für den ersten Überblick sich bietendes Konstrukt – kann im Rahmen des ganzheitlichen psychologisch-medizinischen Ansatzes durch interdisziplinäres Denken unter Berücksichtigung rechtshistorischer Erkenntnisse in der multimodalen Behandlung dem Patienten angeboten werden.

Die Rechtsgeschichte als eine der universitären Disziplinen der Juristischen Fakultäten befasst sich nicht nur mit rechtshistorisch-theoretischen Themen, sondern auch mit politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Europa. Sie untersucht mithin die Schnittstellen neuerer Entwicklungen der erwähnten Bereiche mit historischen Gegebenheiten und vergleicht kritisch die Auswirkungen entsprechender Prozesse mit vergleichbaren früheren, positiven oder negativen. Dadurch ergeben sich breitere Wertungsmöglichkeiten in ethisch-moralischer Hinsicht unter Einbeziehung philosophischer – älterer wie neuerer – Kategorien. Rechtshistoriker sind seit jeher der Auffassung, dass allein auf verlässlicher geschichtlicher Grundlage neue staatlich-gesellschaftliche Gestaltungen, heute etwa  die Gestaltung der gesamteuropäischen Rechtseinheit, gelingen können. Dass dem immer noch nicht so ist, verschließt sich dem Bürger angesichts der (derzeit) verwirrenden Situation Europas verständlicher Weise umso mehr.

Die stetig anwachsenden globalen Auseinandersetzungen, immer häufiger auch mit der überaus leichtfertigen Drohung ihrer „Bereinigung“ unter Einsatz der brutalsten Waffen verbunden, tragen zur Beruhigung der weltweiten Bevölkerungen nicht gerade bei, zumal sie sich über die zuvor genannten Medien mit entsprechenden Horrorberichten täglich, ja stündlich „versorgen“ lassen können und wollen. Hinzu kommt: die Nutzung der Medienvielfalt durch skrupellos-fahrlässige, an der Spitze von Weltmächten stehender Politiker mitsamt ihrer Paladine, die, wie die jüngere Entwicklung etwa im Weißen Haus in Washington sich täglich darbietet, über keinerlei diplomatisches Geschick, geschweige denn über eine solide juristisch-diplomatische Übung verfügen, beschert der Welt in tatsächlicher Hinsicht immer größere Gefahrenbereiche, vor der psychisch ohnehin durch wachsende berufliche Überforderung, Verlust des Arbeitsplatzes und sonstiger, sie beunruhigender Entwicklungen, wie die Fluchtbewegungen und Asylkrisen, eine nicht zu vernachlässigende Zahl von Menschen hilflos kapitulieren. Dabei erwecken auch Politiker und der Rechtsstaat allzu oft den Anschein, wie das Kaninchen vor der Schlange zu stehen…

Dem entgegen zu wirken kann nicht allein Aufgabe eines „aufgeklärten“ Journalismus sein: die Presse hat selbstredend die vornehme Aufgabe, auf Missstände hinzuweisen und darf dabei auch Partei ergreifen, um auf Besserung hinzuwirken. Sie hat aber nicht die Regeln zur Beseitigung durch ständige Meinungsmache oder gar Manipulation zu bestimmen, denn die Bestimmungshoheit gehört in andere Hände, nämlich in die von Justiz und Gesetzgebung (Parlamente) nach abwägender Prüfung der jeweiligen Problemlagen durch deren Fachleute und Sachverständige, die alle hierfür erforderlichen Kenntnisse einsetzen, aber auch die rechtshistorischen Hintergründe berücksichtigen sollten. Nur auf diese Weise kann der Bürger auf eine verlässliche Kontinuität setzen und danach einen sicheren Boden für seine Entscheidungen betreten. Dass die rechtliche Verlässlichkeit das wesentliche, den Bürger direkt geistig und seelisch berührende gesellschaftspolitische Element darstellt, zeigt sich ganz besonders am Beispiel des von der Bevölkerung auf höchster Ansehensstufe angesiedelten Bundesverfassungsgerichtes. Dieses höchste deutsche Gericht kann aber von sich aus nicht jeden Missstand beseitigen, von Ausnahmen abgesehen. Es bedarf hierzu der Transportwirkung durch die Anwaltschaft über eine aufmerksame, sich nicht mit aus ihrer Sicht zu kritisierenden Umständen abfindenden Mandantschaft.

Mit der oben beschriebenen Erosion politischer Kultur geht aber auch ein Schwinden des natürlichen Umganges mit dem kulturellen Erbe einher, insbesondere in Europa, dem Gebiet höchster Kulturblüte über Jahrtausende hinweg, oft ausgehend von dem insoweit geographisch geradezu ideal gelegenen Mediterranen Becken. Ganz zu schweigen vom dramatischen Verkümmern der entsprechenden Kenntnisse junger Menschen, inzwischen aber bereits ihrer Eltern und Großeltern, etwa auf dem Gebiet der Musik, der Literatur und der Bildenden Künste. Die Ignoranz herrscht sogar nach Absolvierung des angeblich allgemein bildenden Gymnasiums oder vergleichbarer schulischer Institutionen fort. Dass auf Grund einer insoweit flächenweit, sprich europaweit versagenden, einseitigen Bildungspolitik hier von einer noch nennenswert breiten tatsächlichen (instrumental-technischen) Ausübung der künstlerischen Disziplinen nicht mehr geredet werden kann, diese vielmehr nach wie vor (ganz überwiegend) einer „Elite“ vorbehalten bleibt, liegt auf der Hand. Dabei ist seit Jahren bekannt, dass allein die Beschäftigung mit Musik oder Kunst durch geistige Aufnahme mit den Sinnen für die psychische Resilienz wertvoll sein kann, durch die praktische Ausübung natürlich umso mehr. Dass Bildungspolitiker sich immer weitergehend dieser Erkenntnis bei Kürzungen von Etats, Minderberücksichtigung von Unterrichtseinheiten etc. verschließen, ist ein Skandal sondergleichen und spricht nicht für eine überragende Fähigkeit der verantwortlichen Persönlichkeiten.

Robert Schumann, der große Komponist aus der Romantik, studierte 1829/30 in Heidelberg Jura, auch unter dem berühmten Rechtshistoriker Professor Anton Friedrich Justus Thibaut, der unter seinen „Jüngern“ als „Zentralsonne“ galt und „Thibauts Singverein“ bei sich zu Hause regelmäßig um seinen Flügel versammelte. Schumann berichtete in einem Brief an seine Mutter: „Thibaut ist ein herrlicher, göttlicher Mann, bei dem ich meine genußreichsten Stunden verlebe. Wenn er so ein Händel´sches Oratorium bei sich singen läßt (jeden Donnerstag sind über 70 Sänger da) und so begeistert am Klavier accompagnirt und dann am Ende zwei große Thränen aus den schönen, großen Augen rollen, über denen ein schönes silberweißes Haar steht, und dann so entzückt und heiter zu mir kommt und die Hand drückt und kein Wort spricht vor lauter Herz und Empfindung, so weiß ich oft nicht, wie ich Lump zu der Ehre komme, in einem solchen heiligen Hause zu sein und zu hören.“ (ausführlicher Klaus-Peter Schröder in „Jurisprudenz und Poesie“, S. 82, Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2018)

Dieser Text gibt deutlich die kathartische Wirkung der Musik nach unmittelbarer Ausübung wieder, jenseits des nunmehr fernen, aber schönen Raunens der romantischen Zeit. Da liegt offen der Kern der uralten Kenntnis von der heilenden Wirkung der Künste, die wir uns zunutze machen sollten. Dies geschieht schon durch unsere Musiktherapie, ganz wesentlicher Bestandteil des Sigma-Konzeptes, mit beachtlichen Erfolgen.

Meine Anregung, dem Konzept einen Block „Juristische Seelsorge“ hinzu zu fügen, mit dem Ziel, einen Weg der Hilfe aus den die Patienten bedrückenden, oben beschriebenen Umständen und aus ihrer ohnehin medizinisch überaus kritischen Situation heraus therapeutisch zu beschreiten, rührt aus der Betrachtung der teilweise besorgniserregenden, gesellschaftspolitischen Entwicklungen der letzten Jahre her, und dies vor dem Hintergrund der nicht allzu lange zurückliegenden Großkatastrophen des 20. Jahrhunderts. Wir wissen schließlich um die Langzeitwirkungen posttraumatischer Störungen….

Johannes Hansmann ist Rechtsanwalt und Justiziar des Sigma-Zentrums sowie Mitglied der Heidelberger Rechtshistorischen Gesellschaft e.V.

Autor:

Johannes Hansmann

Justiziar